4. Der Aussagewert der zoologischen teleologischen
Erklärungen nach der Wissenschaftstheorie des Aristoteles
Um den Charakter der teleologischen Aussagen in den biologischen
Schriften zu verstehen, müssen wir noch prüfen, welche Bedeutung
Aristoteles ihnen von seinen epistemologischen Grundanschauungen
her zuerkennt.
Es fällt sofort auf, daß funktionale Aussagen wie die, daß die Adern
des Blutes wegen da sind, daß die Zähne zur Zerkleinerung der Nahrung
vorhanden sind und die Augenbrauen und Wimpern dem Schutz der
Augen dienen sollen, nicht den Anforderungen genügen, die nach Ari-
stoteles’ Wissenschaftslehre an wissenschaftliche Sätze zu stellen sind,
da sie die Vorstellung vom Ablauf von Einzelprozessen evozieren. Die
Wissenschaft beschäftigt sich mit Dingen, die sich nicht anders verhalten
können, die immer so sind wie sie sind, nicht mit.den Dingen, die sich
einmal so, einmal anders verhalten können (vgl. u. a. Anal. post. A 4.73
a 21 ff., A 6.74 b 5ff., E.N. Z 3.1139 b 19ff, Met. A 5.1015 a 33ff,). Zu-
mindest müssen die Gegenstände der Wissenschaft sich in der Regel
gleichbleibend verhalten (vgl. Anal. post. A 30.87 b 22ff.). Zu diesem
Gegenstandsbereich gehören einzelne Prozesse individueller Substanzen
nicht. Diese sind für Aristoteles nicht als fest determiniert erkennbar, ja
sie sind wahrscheinlich für ihn tatsächlich nicht restlos determiniert61.
Ob ein Haus gebaut wird, hängt vom Plan des Baumeisters und von den
äußeren, nicht vorausberechenbaren Umständen ab. Mut. mut. gilt das
auch für die zielgerichtete Erzeugung und Entwicklung eines einzelnen
Menschen (vgl. Anal. pr. A 13.32 b 9). Aristoteles kennt ja im Bereich
der sublunaren Welt keinen durchgehenden Kausalnexus. Wissenschaft-
liche Aussagen müssen aber mit absoluter Notwendigkeit gelten. Als
absolut notwendig können z. B. Aussagen über die Gestirnsbewegungen
angesehen werden, die sich niemals ändern (vgl. De gen. et corr. B 11.338
a 14f., a 17ff.), oder in der Biologie Aussagen über Eigenschaften der
einzelnen Arten, soweit sie aus der Definition dieser Arten ableitbar
sind. Das Zweckhafte begegnet demgegenüber, wie Aristoteles einmal
61 Vgl. D. M. Balme, Greek Science and Mechanism I. Aristotle on Nature and
Chance, ClQu 33, 1939, 129ff., bes. 138.
Erklärungen nach der Wissenschaftstheorie des Aristoteles
Um den Charakter der teleologischen Aussagen in den biologischen
Schriften zu verstehen, müssen wir noch prüfen, welche Bedeutung
Aristoteles ihnen von seinen epistemologischen Grundanschauungen
her zuerkennt.
Es fällt sofort auf, daß funktionale Aussagen wie die, daß die Adern
des Blutes wegen da sind, daß die Zähne zur Zerkleinerung der Nahrung
vorhanden sind und die Augenbrauen und Wimpern dem Schutz der
Augen dienen sollen, nicht den Anforderungen genügen, die nach Ari-
stoteles’ Wissenschaftslehre an wissenschaftliche Sätze zu stellen sind,
da sie die Vorstellung vom Ablauf von Einzelprozessen evozieren. Die
Wissenschaft beschäftigt sich mit Dingen, die sich nicht anders verhalten
können, die immer so sind wie sie sind, nicht mit.den Dingen, die sich
einmal so, einmal anders verhalten können (vgl. u. a. Anal. post. A 4.73
a 21 ff., A 6.74 b 5ff., E.N. Z 3.1139 b 19ff, Met. A 5.1015 a 33ff,). Zu-
mindest müssen die Gegenstände der Wissenschaft sich in der Regel
gleichbleibend verhalten (vgl. Anal. post. A 30.87 b 22ff.). Zu diesem
Gegenstandsbereich gehören einzelne Prozesse individueller Substanzen
nicht. Diese sind für Aristoteles nicht als fest determiniert erkennbar, ja
sie sind wahrscheinlich für ihn tatsächlich nicht restlos determiniert61.
Ob ein Haus gebaut wird, hängt vom Plan des Baumeisters und von den
äußeren, nicht vorausberechenbaren Umständen ab. Mut. mut. gilt das
auch für die zielgerichtete Erzeugung und Entwicklung eines einzelnen
Menschen (vgl. Anal. pr. A 13.32 b 9). Aristoteles kennt ja im Bereich
der sublunaren Welt keinen durchgehenden Kausalnexus. Wissenschaft-
liche Aussagen müssen aber mit absoluter Notwendigkeit gelten. Als
absolut notwendig können z. B. Aussagen über die Gestirnsbewegungen
angesehen werden, die sich niemals ändern (vgl. De gen. et corr. B 11.338
a 14f., a 17ff.), oder in der Biologie Aussagen über Eigenschaften der
einzelnen Arten, soweit sie aus der Definition dieser Arten ableitbar
sind. Das Zweckhafte begegnet demgegenüber, wie Aristoteles einmal
61 Vgl. D. M. Balme, Greek Science and Mechanism I. Aristotle on Nature and
Chance, ClQu 33, 1939, 129ff., bes. 138.