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Kullmann, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1979, 2. Abhandlung): Die Teleologie in der aristotelischen Biologie: Aristoteles als Zoologe, Embryologe und Genetiker. Vorgelegt von Werner Beierwaltes am 21. Oktober 1978 — Heidelberg: Winter, 1979

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https://doi.org/10.11588/diglit.45473#0014
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1. Die Kritik an der aristotelischen Teleologie

Wir wollen zunächst die Kritiker des Aristoteles hören. Von Seiten
der Naturwissenschaft wird Aristoteles häufig als Vitalist bezeichnet
und damit von vornherein als ein Denker gekennzeichnet, der trans-
zendente Erklärungen an die Stelle von physikalisch-chemischen bzw.
mechanischen Ursachen setzt. Man macht damit Aristoteles zum Ahn-
herrn des modernen Vitalismus, wie er etwa von Hans Dreesch oder
Henri Bergson vertreten wurde. Driesch war der Meinung, daß ein
besonderer vitalistischer Faktor notwendig sei, um die Lebensvorgänge
zu erklären, die er für autonom erachtete. Diesen Faktor nannte er mit
dem von Aristoteles übernommenen Begriff „Entelechie“12 (abgekürzt:
„E“) und bezeichnete ihn als „intensive Mannigfaltigkeit“, die für die
sukzessive Entstehung der „extensiven“ Mannigfaltigkeit des Organis-
mus verantwortlich ist13: Wenn auch Driesch ausdrücklich erklärte, er
wolle damit seine Lehre mit der des Aristoteles von der Entelechie nicht
identifizieren, so bezeichnete doch auch er Aristoteles schon als den
„ersten Vitalisten14, und in dem späteren historischen Werk „Geschichte
des Vitalismus“ beginnt er seine Darstellung mit Aristoteles als typi-
schem Vertreter dieser Richtung15. Diese historische Einordnung hatte
Bestand. So beginnt für Bertalanffy (1932) „der Kampf jener beiden
Anschauungen, die man traditionell als Mechanismus und Vitalismus
bezeichnet“ mit Aristoteles16. In vielen Hand- und Schulbüchern oder
allgemein gehaltenen biologischen Publikationen sind entsprechende
Urteile zu finden. Im Handbuch der Biologie (1965) sagt z. B. E. Unge-
rer : „Nicht nur eine statische, der Welteinrichtung innewohnende Teleo-
logie wie bei Platon, sondern ein metaphysisch bestimmter dynamischer
Vitalismus beherrscht die aristotelische Biologie“. Dabei sei die aristo-
telische Biologie von vornherein Glied einer aufs Ganze gerichteten
Erfassung der Wirklichkeit; der seelische Vitalismus werde zum kos-
mischen, zu einem dynamischen Panvitalismus17. Nach Max Hartmann
12 Vgl. H. Driesch, Philosophie des Organischen f11908), Leipzig 21929.
13 A.a.O. 400ff.
14 A.a.O. 139.
15 (= Natur- und Kulturphilosophische Bibliothek Bd. 3) Leipzig 1922.
16 L. v. Bertalanffy, Theoretische Biologie, Berlin 1932, I 36ff.
 
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