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Kullmann, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1979, 2. Abhandlung): Die Teleologie in der aristotelischen Biologie: Aristoteles als Zoologe, Embryologe und Genetiker. Vorgelegt von Werner Beierwaltes am 21. Oktober 1978 — Heidelberg: Winter, 1979

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https://doi.org/10.11588/diglit.45473#0042
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Wolfgang Kullmann

sein von mehreren Mägen bei den Wiederkäuern aus dem Fehlen der
oberen Schneidezähne bei dieser Tiergruppe folgt (Anal. post. B 14.98
a 16f.), läßt sich diese Aussage als eine Generalisierung der teleologi-
schen Erklärung verstehen, daß die Mägen eines bestimmten Wieder-
käuers dem Ziel dienen, als Ausgleich für das mangelhafte Gebiß zu
fungieren (De part. an. T 14.674 b 9ff.). Diese Funktion ist nur im kon-
kreten Einzelfall erkennbar, wo tatsächlich ein Wiederkäuen stattfindet.
Bei seinen teleologischen Erklärungen muß Aristoteles immer die Ent-
stehung eines Einzelwesens beobachten oder sich vorstellen, um die
Zielgerichtetheit eines bestimmten Prozesses konstatieren zu können.
Eine allgemeine Vorstellung von der Art genügt dazu nicht. Es ergibt
sich, daß diese finalen Aussagen nicht als wissenschaftliche Aussagen
im strengen Sinne gemeint sind. Das führt auf eine Zweigleisigkeit der
Darlegung, und tatsächlich hat sich Aristoteles in De part. an. A 1.642
a 31 ff. ausdrücklich für eine solche ausgesprochen65. Die Zwecke der
Körperorgane und -funktionen sollen angegeben und gleichzeitig sollen
die Wesensmerkmale der Tierarten aus der Definition mit absoluter
Notwendigkeit abgeleitet werden. Er sagt:
„Man muß aber folgendermaßen argumentieren: das Atmen ist um dessent-
willen; dies aber (nämlich die Atmung) geschieht aus diesem Grunde mit
Notwendigkeit. Die Notwendigkeit bedeutet einmal, daß es, wenn jener Zweck
sein soll, notwendig ist, dies zu haben, zum anderen daß sich dies so verhalte
und seinem Wesen nach so sei.“
Wenn also Abkühlung der Zweck ist, dem nach aristotelischer Auffassung
die Atmung dient, sind die Atmung und ihre Voraussetzungen hypo-
thetisch notwendig. Damit z. B. ein Wirbeltier richtig temperiert ist, ist
die Atmung erforderlich, die ihrerseits auf weiteren Voraussetzungen,
z. B. dem Vorhandensein von Lungen oder Kiemen, beruht. Die Aus-
sage, daß die Atmung mit Notwendigkeit aus diesem Grunde vorhanden
ist, kann aber auch als eine Aussage über eine bestimmte Regelmäßigkeit
bei einer Gattung von Lebewesen angesehen werden. In diesem Fall ist
die Notwendigkeit, aristotelisch gesehen, eine absolute Notwendigkeit.
Nur dieser zweite Aspekt, der sich mit einem der Gattung mit absoluter
Notwendigkeit zukommenden Merkmal beschäftigt, gehört in den Be-
reich der strengen Wissenschaft im Sinne der Anal. post, hinein. Die
Aussage, die Atmung sei um der Abkühlung willen, ist demnach nicht
"wissenschaftlich’, und auch die Aussage, daß, wenn eine Temperierung
erreicht werden soll, die Atmung und ihre Voraussetzungen vorhanden

65 Vgl. auch Wissenschaft und Methode a.a.O. 49ff.
 
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