50
Wolfgang Kullmann
Verstand (wie ihn die Menschen besitzen) technische Produkte her-
stellen, wie die Spinnen die Spinngewebe, die Ameisen den Ameisen-
haufen und Schwalben das Nest (199 a 20ff.). Das Moment der bewußten
Zwecksetzung ist danach also keine notwendige Bedingung für das Vor-
handensein von Zielgerichtetheit. Anschließend polemisiert Aristoteles
ausdrücklich gegen das Argument, es könne dann keine Zielgerichtet-
heit vorliegen, wenn man sähe, daß die Bewegungsursache keine Über-
legungen angestellt habe. Auch die Techne (das Handwerk), so meint er,
überlegt nicht (199 b 26ff.). Offensichtlich läuft nach Meinung des Ari-
stoteles die eingefahrene handwerkliche Produktion rein mechanisch
ab, einschließlich der Tätigkeit des Handwerkers, und ist gleichwohl
zielgerichtet. Und Analoges nimmt er für die Natur an. Diese Argu-
mente müßten, denke ich, berücksichtigt werden, ehe man Aristoteles’
naturwissenschaftliche Auffassungen als anthropomorph abwertet, wie
das z.B. Topitsch tut85. Es ist also festzuhalten, daß Aristoteles aus-
drücklich leugnet, daß die Naturprozesse von Motiven geleitet sind.
Zu prüfen bleibt nur noch, ob seine Teleologie nicht widersprüchlich
wird, wenn er das Vorliegen von Motiven leugnet.
Um die Verkehrtheit der Teleologie des Aristoteles in der Biologie
darzutun, hat Nicolai Hartmann die Analyse der technischen Produk-
tion herangezogen, die Aristoteles in Met. Z 7 gibt. Aristoteles unter-
scheidet dort zwei aufeinanderfolgende Phasen des Herstellungspro-
zesses :
1. Die Analyse: sie geht vom Ziel des Prozesses, etwa dem zu erbauen-
den Haus, aus und bestimmt durch Planung die Mittel und Werk-
zeuge, die zur Verfolgung des Ziels gebraucht werden;
2. den Arbeitsprozeß, der unter Gebrauch der geplanten Mittel und
Werkzeuge das Produkt, also das Haus, fertigstellt.
Die Analyse läuft im Denken des Handwerkers vom Ziel rückwärts zu
den ersten Voraussetzungen. Der Arbeitsprozeß läuft tatsächlich von
den ersten Voraussetzungen bis zur Fertigstellung des Produktes. Nico-
lai Hartmann sieht nun eine entscheidende Inkonsequenz des Aristo-
teles darin, daß er das Vorliegen der ersten Phase, der Analyse, beim
Naturprozeß leugnet und gleichwohl an der Zielbestimmtheit festhält.
Er sagt, daß etwas, was erst künftig wirklich wird, nur dann auf Gegen-
wärtiges einwirken kann, wenn es auf irgendeine Weise vor seiner Ver-
wirklichung „vorbesteht“. Das sei aber nur in einem Bewußtsein mög-
85 Vgl. oben S. 14.
Wolfgang Kullmann
Verstand (wie ihn die Menschen besitzen) technische Produkte her-
stellen, wie die Spinnen die Spinngewebe, die Ameisen den Ameisen-
haufen und Schwalben das Nest (199 a 20ff.). Das Moment der bewußten
Zwecksetzung ist danach also keine notwendige Bedingung für das Vor-
handensein von Zielgerichtetheit. Anschließend polemisiert Aristoteles
ausdrücklich gegen das Argument, es könne dann keine Zielgerichtet-
heit vorliegen, wenn man sähe, daß die Bewegungsursache keine Über-
legungen angestellt habe. Auch die Techne (das Handwerk), so meint er,
überlegt nicht (199 b 26ff.). Offensichtlich läuft nach Meinung des Ari-
stoteles die eingefahrene handwerkliche Produktion rein mechanisch
ab, einschließlich der Tätigkeit des Handwerkers, und ist gleichwohl
zielgerichtet. Und Analoges nimmt er für die Natur an. Diese Argu-
mente müßten, denke ich, berücksichtigt werden, ehe man Aristoteles’
naturwissenschaftliche Auffassungen als anthropomorph abwertet, wie
das z.B. Topitsch tut85. Es ist also festzuhalten, daß Aristoteles aus-
drücklich leugnet, daß die Naturprozesse von Motiven geleitet sind.
Zu prüfen bleibt nur noch, ob seine Teleologie nicht widersprüchlich
wird, wenn er das Vorliegen von Motiven leugnet.
Um die Verkehrtheit der Teleologie des Aristoteles in der Biologie
darzutun, hat Nicolai Hartmann die Analyse der technischen Produk-
tion herangezogen, die Aristoteles in Met. Z 7 gibt. Aristoteles unter-
scheidet dort zwei aufeinanderfolgende Phasen des Herstellungspro-
zesses :
1. Die Analyse: sie geht vom Ziel des Prozesses, etwa dem zu erbauen-
den Haus, aus und bestimmt durch Planung die Mittel und Werk-
zeuge, die zur Verfolgung des Ziels gebraucht werden;
2. den Arbeitsprozeß, der unter Gebrauch der geplanten Mittel und
Werkzeuge das Produkt, also das Haus, fertigstellt.
Die Analyse läuft im Denken des Handwerkers vom Ziel rückwärts zu
den ersten Voraussetzungen. Der Arbeitsprozeß läuft tatsächlich von
den ersten Voraussetzungen bis zur Fertigstellung des Produktes. Nico-
lai Hartmann sieht nun eine entscheidende Inkonsequenz des Aristo-
teles darin, daß er das Vorliegen der ersten Phase, der Analyse, beim
Naturprozeß leugnet und gleichwohl an der Zielbestimmtheit festhält.
Er sagt, daß etwas, was erst künftig wirklich wird, nur dann auf Gegen-
wärtiges einwirken kann, wenn es auf irgendeine Weise vor seiner Ver-
wirklichung „vorbesteht“. Das sei aber nur in einem Bewußtsein mög-
85 Vgl. oben S. 14.