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Kullmann, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1979, 2. Abhandlung): Die Teleologie in der aristotelischen Biologie: Aristoteles als Zoologe, Embryologe und Genetiker. Vorgelegt von Werner Beierwaltes am 21. Oktober 1978 — Heidelberg: Winter, 1979

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https://doi.org/10.11588/diglit.45473#0055
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Die Teleologie in der aristotelischen Biologie

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(wörtlich: ,, Bewegungen“, Ktvf](j£ig92) auf den weiblichen Stoff zu über-
tragen (A 21.2293)94. Es enthält also in Form solcher Impulse alle Infor-
mationen, die zum Aufbau eines neuen Körpers erforderlich sind. Auch
die weiblichen Katamenien sind ein Überschuß des Blutes (A 19.727 a 2f.)
und enthalten als solche alle diese Impulse, nur daß das Katamenien-
blut im Unterschied zum Sperma nicht „gar gekocht“ ist (KEyig). Soweit
sich das männliche Sperma nicht durchsetzt, übernehmen die in den
weiblichen Katamenien latent enthaltenen Impulse die entsprechenden
Funktionen (A 3). Die Impulse sind nicht etwa rein seelische Impulse,
sondern haben nach aristotelischer Vorstellung einen physikalischen
Träger; das ist die Wärme (726 b 33, vgl. 729 b 27, 736 b 34f. u. ö.), die
dem Samen vom väterlichen Körper mitgegeben ist und die Impulse
auf die werdende Frucht im Mutterleib überträgt95.
Hier stellt sich die Frage, was die kombinierte Impuls- und Epigenesis-
theorie gegenüber der zur Zeit des Aristoteles sonst vertretenen Präfor-
mationstheorie oder Pangenesistheorie96 der Atomisten leistet. Aristo-
teles äußert sich zu dieser Theorie in De generatione animalium ganz
ausführlich an drei Stellen. Einmal stellt er eine ausführliche Darstel-
lung und Widerlegung dieser Lehre in A 17.18 der Darstellung seiner
eigenen hämatogenen Samentheorie voraus. Sodann kommt er auf diese
Lehre im Zusammenhang mit der Frage der Geschlechtsbestimmung
(A 1) und der Vererbung (A 3) zurück97. Es wird deutlich, wie sehr er
seine eigene Lehre in Auseinandersetzung mit dieser Theorie entwickelt
und als Fortschritt betrachtet hat.
92 Vgl. auch den Ausdruck Süvapig Kai kIvt]oi<;, 729 b 5f. und sonst.
93 Die wichtigsten Stellen sind 729 b 6, 730 b 15, 730 b 29, 734 b 34, 735 a 1, 737
a 18ff., 766 b 13, 767 b 18, 767 b 36, 768 a llff., 768 b 15ff.
94 Aristoteles glaubt fälschlich, dafür Beobachtungen als Beweise anführen zu kön-
nen. Er meint unter anderem beobachtet zu haben, daß bei bestimmten Insekten
das Weibchen seine Legeröhre in das Männchen einführe, so daß das Sperma
erst gar nicht erforderlich sei, weil die Impulse direkt auf das weibliche Blut
übertragen werden können (A 16.21.22"). Balss 25 weist darauf hin, daß hier
fast richtige, aber falsch gedeutete Beobachtungen an Libellen zugrundeliegen.
95 Auch diese Wärme ist wie alles Organische bei Aristoteles beseelt gedacht, wes-
halb er z. B. T 4.755 a 20 vom xguyiKÖv 0£Q|iöv spricht (vgl. auch 739 b 23
^cotikt] 0sQp.oTr]<;).
96 Das Wort Pangenesis stammt von Charles Darwin, der noch 1868 eine der
demokriteischen ähnliche Lehre als Hypothese vorgetragen hat in dem Werk:
The Variation of Animais and Plants under Domestication, London 1868 II
357ff. S. unten S. 63.
97 Zur Kritik des Aristoteles vgl. auch P. M. M. Geurts, De erfelijkheid in de
oudere Grieksche Wetenschap, Nijmegen-Utrecht 1941, 107ff.
 
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