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Kullmann, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1979, 2. Abhandlung): Die Teleologie in der aristotelischen Biologie: Aristoteles als Zoologe, Embryologe und Genetiker. Vorgelegt von Werner Beierwaltes am 21. Oktober 1978 — Heidelberg: Winter, 1979

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https://doi.org/10.11588/diglit.45473#0057
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Die Teleologie in der aristotelischen Biologie

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gebildet werden wie die Eltern, kann aber durch substantiell ganz ver-
schiedene Nahrung weiterwachsen? Wie steht es mit der Pangenesis bei
Insektenlarven? Wieso können Pflanzenableger Frucht tragen? Die Hef-
tigkeit der Lustempfindung beim Samenerguß läßt sich anders erklären,
als die Vertreter der Präformationstheorie meinen: es handelt sich ledig-
lich um einen starken Reiz, nicht um eine dabei stattfindende Absonde-
rung vom ganzen Körper, da die Lustempfindung bei häufigem Ge-
schlechtsverkehr nachläßt. Es gibt auch nichtverstümmelte Nachkom-
men von verstümmelten Eltern! Wenn weibliche Wesen keinen Samen
haben, kann der Same nicht aus dem ganzen Körper stammen. Hinzu
kommen die Ungereimtheiten der Pangenesistheorie hinsichtlich der
Geschlechtsbestimmung (Al). Wenn diese sich wie bei den anderen ein-
zelnen Organen danach richtet, welche Seite sich mit ihrem Beitrag
durchsetzt, warum vererben sich die einzelnen Teile des männlichen oder
weiblichen Geschlechtsapparates immer nur gemeinsam? Wie erklären
sich die sekundären Geschlechtsmerkmale, wenn sich die primären auf-
grund des von den Geschlechtsorganen stammenden Keimgutes ver-
erben? Immerhin gibt Aristoteles der ,,Panspermie“-Lehre Demokrits
den Vorzug vor anderen Zeugungstheorien (A 3.769 a 28ff.). Dies ist
nur ein Teil der von Aristoteles erhobenen Einwände, von denen man-
che noch in bezug auf Darwins Pangenesistheorie Gewicht haben, auf
die ich noch zurückkommen werde. Sie alle führen Aristoteles notwendig
darauf, eine zielgerichtete Entwicklung im Sinne der Epigenesis anzu-
nehmen, die von Informationen gesteuert wird, deren Träger qualitativ
ganz anderer Art sind als das Produkt. Hier orientiert er sich an seinem
Techne-Modell. So wie etwa beim Zimmermann der Plan, den er in der
Seele hat, die Hände bewegt und diese Hände bestimmte Impulse mit-
tels der Werkzeuge auf das Holz übertragen, werden durch das Werk-
zeug des Samens Impulse, die bestimmte Forminformationen weiter-
leiten, an die Nachkommen vermittelt (A 22.730 b llff.).
Um die Bedeutung der aristotelischen Lehre zu verstehen, müssen
die zusammenfassenden Bemerkungen in A 1.766 b 7ff. genau gewogen
werden. Das Sperma ist danach das letzte Sekret der Nahrung (ksqIt-
xcopa TQOiprjg öv tö ecr/arov 766 b 8), wobei unter „letztes“ das Sekret
zu verstehen ist, das zu den einzelnen Organen transportiert wird, d.h.
das gargekochte Blut, aus dem die Organe sich aufbauen. Es ist somit
Erreger aller Impulse (Kivf]O8u;), d.h. aller Erbanlagen. Aristoteles’
Meinung ähnelt also partiell den Ergebnissen der modernen Genetik,
die davon ausgeht, daß alle Erbanlagen in jeder einzelnen Zelle vor-
handen sind.
 
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