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Wolfgang Kullmann
denen Walzen, die mit Schnüren umwickelt sind, durch Gewichte in
Bewegung gesetzt werden und ihrerseits selbständig ohne weiteres Zu-
tun des Menschen wieder andere Walzen oder Räder in Gang setzen,
die diesen Impuls noch weiter übertragen können, bis sich alle Puppen
im Tanz drehen (vgl. besonders [Arist.] Meeh. 848 a 19ff.)104. Aristo-
teles verweist auf dieses Modell mehrfach zur Erläuterung des Phäno-
mens einer programmierten Kettenreaktion. Dabei vergißt er nicht, wie
man das auch heute hinsichtlich kybernetischer Modelle tut105, auf die
Grenzen eines solchen Modells hinzuweisen (vgl. De mot. an. 7.701
b 10ff.). Während die Wirkungsweise solcher Maschinen rein mechanisch
ist, sind die organischen Prozesse bei der Keimbildung und Entwicklung
des Embryo nach Aristoteles’ Auffassung vorwiegend chemisch; es ver-
ändern sich zum Beispiel Konsistenz und Temperatur der beteiligten
Substanzen (vgl. B 6.741 b 7ff.).
Es bestätigt sich also, daß Aristoteles durchgehend eine strikt kausale,
deterministische, physikalische Erklärung des zielgerichteten Reproduk-
tionsvorganges gibt und von einer Ersetzung der Erklärung aus Wirk-
ursachen durch eine Erklärung aus Endursachen nicht gesprochen wer-
den kann. Insbesondere kann keine Rede davon sein, daß Aristoteles
der Natur Motive bei der Schaffung ihrer Gebilde zuspricht und daß er
gar ein durchgängiges teleologisches Weltbild voraussetzt. Auch wenn
natürlich wegen des Nichtvorhandenseins des Mikroskops und aus ande-
ren Gründen viele fundamentale Einsichten fehlten, haben sich in zahl-
reichen Einzelpunkten, die hier nur ganz unvollständig angesprochen
wurden, seine Erklärungen gegenüber viel jüngeren Vorstellungen sogar
bis heute als richtig erwiesen.
Schließlich muß noch die Rede vom 'Vitalismus’ des Aristoteles kri-
tisch geprüft werden. Es ist richtig, daß Aristoteles davon spricht, daß
die Seele oder ein Teil von ihr die Entstehung eines Lebewesens steuert.
Er pflegt aber sogleich hinzuzufügen, daß die Seele sich dabei konkreter
substantieller Werkzeuge bedient. Insofern besteht bei Aristoteles kein
Gegensatz zwischen seiner Seelenlehre und einem 'Mechanismus’, da
der von der Seele gesteuerte Prozeß der Entstehung des Lebewesen durch-
aus mechanisch abläuft und mit der Funktion einer Maschine verglichen
werden kann. Die ablaufenden Prozesse werden als physikalisch-chemi-
sche Vorgänge beschrieben. Keineswegs ist bei Aristoteles die Seele
rein als solche wie Drieschs 'Entelechie’ als „intensive Mannigfaltig-
en Vgl dazu Wissenschaft und Methode 300 mit weiterer Literatur.
105 Vgl. z. B. Stegmüller a.a.O. (oben S. 13 Anm. 21) 621ff.
Wolfgang Kullmann
denen Walzen, die mit Schnüren umwickelt sind, durch Gewichte in
Bewegung gesetzt werden und ihrerseits selbständig ohne weiteres Zu-
tun des Menschen wieder andere Walzen oder Räder in Gang setzen,
die diesen Impuls noch weiter übertragen können, bis sich alle Puppen
im Tanz drehen (vgl. besonders [Arist.] Meeh. 848 a 19ff.)104. Aristo-
teles verweist auf dieses Modell mehrfach zur Erläuterung des Phäno-
mens einer programmierten Kettenreaktion. Dabei vergißt er nicht, wie
man das auch heute hinsichtlich kybernetischer Modelle tut105, auf die
Grenzen eines solchen Modells hinzuweisen (vgl. De mot. an. 7.701
b 10ff.). Während die Wirkungsweise solcher Maschinen rein mechanisch
ist, sind die organischen Prozesse bei der Keimbildung und Entwicklung
des Embryo nach Aristoteles’ Auffassung vorwiegend chemisch; es ver-
ändern sich zum Beispiel Konsistenz und Temperatur der beteiligten
Substanzen (vgl. B 6.741 b 7ff.).
Es bestätigt sich also, daß Aristoteles durchgehend eine strikt kausale,
deterministische, physikalische Erklärung des zielgerichteten Reproduk-
tionsvorganges gibt und von einer Ersetzung der Erklärung aus Wirk-
ursachen durch eine Erklärung aus Endursachen nicht gesprochen wer-
den kann. Insbesondere kann keine Rede davon sein, daß Aristoteles
der Natur Motive bei der Schaffung ihrer Gebilde zuspricht und daß er
gar ein durchgängiges teleologisches Weltbild voraussetzt. Auch wenn
natürlich wegen des Nichtvorhandenseins des Mikroskops und aus ande-
ren Gründen viele fundamentale Einsichten fehlten, haben sich in zahl-
reichen Einzelpunkten, die hier nur ganz unvollständig angesprochen
wurden, seine Erklärungen gegenüber viel jüngeren Vorstellungen sogar
bis heute als richtig erwiesen.
Schließlich muß noch die Rede vom 'Vitalismus’ des Aristoteles kri-
tisch geprüft werden. Es ist richtig, daß Aristoteles davon spricht, daß
die Seele oder ein Teil von ihr die Entstehung eines Lebewesens steuert.
Er pflegt aber sogleich hinzuzufügen, daß die Seele sich dabei konkreter
substantieller Werkzeuge bedient. Insofern besteht bei Aristoteles kein
Gegensatz zwischen seiner Seelenlehre und einem 'Mechanismus’, da
der von der Seele gesteuerte Prozeß der Entstehung des Lebewesen durch-
aus mechanisch abläuft und mit der Funktion einer Maschine verglichen
werden kann. Die ablaufenden Prozesse werden als physikalisch-chemi-
sche Vorgänge beschrieben. Keineswegs ist bei Aristoteles die Seele
rein als solche wie Drieschs 'Entelechie’ als „intensive Mannigfaltig-
en Vgl dazu Wissenschaft und Methode 300 mit weiterer Literatur.
105 Vgl. z. B. Stegmüller a.a.O. (oben S. 13 Anm. 21) 621ff.