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Werner Beierwaltes
im Bewußtsein der Differenz zu spezifisch oder prononciert neuzeit-
licher Ästhetik zu fragen, welche Momente in einer Theorie des
Schönen (in Antike, Mittelalter oder Renaissance) einen Bezug zur
Kunst als ästhetischem Phänomen haben und inwiefern eben dieser
Bezug eine ontologische oder metaphysische Fundierung von Kunst
bedingt. Ein derartiger Bezug mag auch dort bestehen, wo der Künst-
ler keine ausdrückliche Adaption einer Theorie in seinem Schaffen
hat wirksam werden lassen. Dies machen z. B. zahlreiche kunsthisto-
rische Interpretationen der Kunst der Renaissance deutlich, die im
Rückgriff auf eine u. U. nicht primär ästhetisch intendierte Theorie
mehr von Sinn und Struktur der Kunstwerke „sehen“ lassen als ein
theorie-abstinentes Sich-Beschränken auf das angeblich Gegebene.
Der Versuch, einen Bezug von Theorie und Kunst zu zeigen, kann
aber nur dann in hohem Maße überzeugend und produktiv gelingen,
wenn die Theorie zumindest in ihren wesentlichen Momenten präzise
und differenziert, auf die Sache als solche konzentriert und zunächst
ohne Adaptationsabsichten dargestellt ist. Dies heißt vor allem: die
philosophische Reflexion hat den Begriff des Schönen in sich selbst,
aber auch in seinem sachlichen und geschichtlichen Kontext zu er-
örtern, um ihn so aus seinen Bedingungen und auf seine mögliche
Reichweite hin zu verstehen. Ein philosophisch verantwortbares
Theorie-Konzept wird auch in der Adaption sachaufschließender wir-
ken können als eine freilich auch leicht handhabbare Oberflächen-
beschreibung.
Mein Ziel ist es, Marsilio Ficinos Begriff des Schönen als ein Para-
digma einer Theorie des Schönen zu entfalten, die zwar nicht primär
„ästhetisch“, aber in ihrer weitläufigen metaphysischen Begründung
dennoch für das Verstehen von Kunst bedeutsam ist. Ficinos Denken
ist zugleich ein Zeugnis dafür, welch intensiven Anteil platonische und
neuplatonische Philosopheme an der Entwicklung der abendländi-
schen Theorie des Schönen genommen haben.
Grundlage meiner Überlegungen ist vor allem Ficinos Schrift „De
Amore“ (entstanden 1468/9), ein ausführlicher, das platonische Ge-
spräch in die Gegenwart versetzender Kommentar des 'Symposion’.
Ficino zeichnet dadurch in Anbetracht seiner reichen Übersetzer-
tätigkeit und seiner Erläuterungen zu Platon das 'Symposion’ in be-
sonderem Maße aus, weil es einen für ihn zentralen Gedanken von
vielfältigen Aspekten her beleuchtet. So ist Ficinos Kommentar neben
aller spezielleren Thematik als eine universal begründende Erörterung
des Verhältnisses von Eros und Schönheit zu verstehen. Dies aller-
Werner Beierwaltes
im Bewußtsein der Differenz zu spezifisch oder prononciert neuzeit-
licher Ästhetik zu fragen, welche Momente in einer Theorie des
Schönen (in Antike, Mittelalter oder Renaissance) einen Bezug zur
Kunst als ästhetischem Phänomen haben und inwiefern eben dieser
Bezug eine ontologische oder metaphysische Fundierung von Kunst
bedingt. Ein derartiger Bezug mag auch dort bestehen, wo der Künst-
ler keine ausdrückliche Adaption einer Theorie in seinem Schaffen
hat wirksam werden lassen. Dies machen z. B. zahlreiche kunsthisto-
rische Interpretationen der Kunst der Renaissance deutlich, die im
Rückgriff auf eine u. U. nicht primär ästhetisch intendierte Theorie
mehr von Sinn und Struktur der Kunstwerke „sehen“ lassen als ein
theorie-abstinentes Sich-Beschränken auf das angeblich Gegebene.
Der Versuch, einen Bezug von Theorie und Kunst zu zeigen, kann
aber nur dann in hohem Maße überzeugend und produktiv gelingen,
wenn die Theorie zumindest in ihren wesentlichen Momenten präzise
und differenziert, auf die Sache als solche konzentriert und zunächst
ohne Adaptationsabsichten dargestellt ist. Dies heißt vor allem: die
philosophische Reflexion hat den Begriff des Schönen in sich selbst,
aber auch in seinem sachlichen und geschichtlichen Kontext zu er-
örtern, um ihn so aus seinen Bedingungen und auf seine mögliche
Reichweite hin zu verstehen. Ein philosophisch verantwortbares
Theorie-Konzept wird auch in der Adaption sachaufschließender wir-
ken können als eine freilich auch leicht handhabbare Oberflächen-
beschreibung.
Mein Ziel ist es, Marsilio Ficinos Begriff des Schönen als ein Para-
digma einer Theorie des Schönen zu entfalten, die zwar nicht primär
„ästhetisch“, aber in ihrer weitläufigen metaphysischen Begründung
dennoch für das Verstehen von Kunst bedeutsam ist. Ficinos Denken
ist zugleich ein Zeugnis dafür, welch intensiven Anteil platonische und
neuplatonische Philosopheme an der Entwicklung der abendländi-
schen Theorie des Schönen genommen haben.
Grundlage meiner Überlegungen ist vor allem Ficinos Schrift „De
Amore“ (entstanden 1468/9), ein ausführlicher, das platonische Ge-
spräch in die Gegenwart versetzender Kommentar des 'Symposion’.
Ficino zeichnet dadurch in Anbetracht seiner reichen Übersetzer-
tätigkeit und seiner Erläuterungen zu Platon das 'Symposion’ in be-
sonderem Maße aus, weil es einen für ihn zentralen Gedanken von
vielfältigen Aspekten her beleuchtet. So ist Ficinos Kommentar neben
aller spezielleren Thematik als eine universal begründende Erörterung
des Verhältnisses von Eros und Schönheit zu verstehen. Dies aller-