Marsilio Ficinos Theorie des Schönen im Kontext des Platonismus
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zwischen Gott und Mensch. Eros als 'daimon’ ist demnach ein der-
artig Mittleres zwischen Gott und Mensch, nicht so jedoch, daß er -
wie der 'daimon’ der frühgriechischen Religiosität - der den Menschen
„von außen Leitende“ wäre; er ist vielmehr eine das Denken und
dessen „Emotion“ bestimmende, also dem Menschen selbst inner-
liche, ihn bewegende Kraft. Im Gegensatz zum christlichen Gedanken
der Inkarnation gilt für griechisches Denken der Grundsatz: „Gott
mischt sich nicht mit dem Menschen“6. Von dieser Voraussetzung
her und wenn dennoch eine Verbindung zwischen dem Göttlichen
und Menschlichen sein soll, ist Eros nicht nur der Seinsdignität nach
ein Mittleres, sondern auch ein aktiv Vermittelndes. Er ist das „über-
setzende“ Moment, das, was das Menschliche zu den Göttern und
das Göttliche zu den Menschen „herüberbringt“7. So geschieht
Jeder Umgang und jedes Gespräch (öioAextoJ zwischen Göttern und
Menschen“ durch dessen Vermittlung.
Die mythologische Herkunftsbezeichnung des Eros - sein Vater
ist Poros (Reichtum), seine Mutter Penia (Armut) - ist durchaus auf-
schlußreich für das entmythisierte oder unmythische Wesen des Eros,
wenn es als bewegende Kraft der Erkenntnis gedacht wird. So wie Eros
nach dem mythologischen Konzept zwischen Reichtum und Armut
ist und daher nach dem Reichtum strebt, durch Armut aber und der
Bedürftigkeit immer begrenzt bleibt8, so geht er auch als Erkenntnis-
bewegung immer auf eine für das Handeln maßgebliche Einsicht
((ppövrpu;) hin, ist ihr „gewaltiger Jäger“, bleibt aber dennoch in
gewissem Maße von Unkenntnis oder Nicht-Wissen eingeschränkt.
Sein Ziel ist es, sich aus diesem Nicht-Wissen denkend und begreifend
zu befreien. Vorausgesetzt ist für den Vollzug dieser Bewegung frei-
lich nicht ein in sich selbst versponnenes, sich selbst genügendes
Selbstbewußtsein, sondern eines, das überhaupt - im Vorgriff auf das
Was des Wissens - weiß, do/? es etwas zu wissen gibt und daß dieses
Wißbare oder Zu-Wissende auch das Wissenswerte ist. Eros ist dem-
nach das im oder durch Fragen Wissen-Wollende, dasjenige im Men-
schen, was über den gegenwärtigen Zustand des geistigen Ungenügens
kritisch hinaustreibt. Diese Bewegung initiiert durch Bewußtwerden
des Wißbaren und Wissenswerten, durch bewußtes Ungenügen und
6 Ebd. 203 a 1.
7 202 e 2: £ppr|veüov xai öiaTtopüp.eCov.
8 203 d 3.
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zwischen Gott und Mensch. Eros als 'daimon’ ist demnach ein der-
artig Mittleres zwischen Gott und Mensch, nicht so jedoch, daß er -
wie der 'daimon’ der frühgriechischen Religiosität - der den Menschen
„von außen Leitende“ wäre; er ist vielmehr eine das Denken und
dessen „Emotion“ bestimmende, also dem Menschen selbst inner-
liche, ihn bewegende Kraft. Im Gegensatz zum christlichen Gedanken
der Inkarnation gilt für griechisches Denken der Grundsatz: „Gott
mischt sich nicht mit dem Menschen“6. Von dieser Voraussetzung
her und wenn dennoch eine Verbindung zwischen dem Göttlichen
und Menschlichen sein soll, ist Eros nicht nur der Seinsdignität nach
ein Mittleres, sondern auch ein aktiv Vermittelndes. Er ist das „über-
setzende“ Moment, das, was das Menschliche zu den Göttern und
das Göttliche zu den Menschen „herüberbringt“7. So geschieht
Jeder Umgang und jedes Gespräch (öioAextoJ zwischen Göttern und
Menschen“ durch dessen Vermittlung.
Die mythologische Herkunftsbezeichnung des Eros - sein Vater
ist Poros (Reichtum), seine Mutter Penia (Armut) - ist durchaus auf-
schlußreich für das entmythisierte oder unmythische Wesen des Eros,
wenn es als bewegende Kraft der Erkenntnis gedacht wird. So wie Eros
nach dem mythologischen Konzept zwischen Reichtum und Armut
ist und daher nach dem Reichtum strebt, durch Armut aber und der
Bedürftigkeit immer begrenzt bleibt8, so geht er auch als Erkenntnis-
bewegung immer auf eine für das Handeln maßgebliche Einsicht
((ppövrpu;) hin, ist ihr „gewaltiger Jäger“, bleibt aber dennoch in
gewissem Maße von Unkenntnis oder Nicht-Wissen eingeschränkt.
Sein Ziel ist es, sich aus diesem Nicht-Wissen denkend und begreifend
zu befreien. Vorausgesetzt ist für den Vollzug dieser Bewegung frei-
lich nicht ein in sich selbst versponnenes, sich selbst genügendes
Selbstbewußtsein, sondern eines, das überhaupt - im Vorgriff auf das
Was des Wissens - weiß, do/? es etwas zu wissen gibt und daß dieses
Wißbare oder Zu-Wissende auch das Wissenswerte ist. Eros ist dem-
nach das im oder durch Fragen Wissen-Wollende, dasjenige im Men-
schen, was über den gegenwärtigen Zustand des geistigen Ungenügens
kritisch hinaustreibt. Diese Bewegung initiiert durch Bewußtwerden
des Wißbaren und Wissenswerten, durch bewußtes Ungenügen und
6 Ebd. 203 a 1.
7 202 e 2: £ppr|veüov xai öiaTtopüp.eCov.
8 203 d 3.