Marsilio Ficinos Theorie des Schönen im Kontext des Platonismus
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Der ethische Ansatz- und Zielpunkt der Frage nach dem Schönen
ist also auch hier deutlich. Die Annahme verschiedener Intensitäts-
grade des Schönen weist darauf hin, daß dessen Wesen nicht in dem
Erscheinenden, also auch nicht in der unmittelbar anziehenden Schön-
heit des Körpers denkbar ist; das Schön-Sein des sinnlich Erscheinen-
den beruht vielmehr in einem ihm transzendenten Sein, das dieses
durch Intelligibilität oder „geistiges Sein“ begründet. Was also ist
das in den Körpern anwesende Schöne? Was ist das Anziehende der
Schönheit (l,18f)? Die Gedankenbewegung Plotins transformiert in
der Antwort auf diese Frage einen frühgriechischen Grundsatz
über das Schöne; er findet sich bei Demokrit32: „Die Schönheit
des Körpers ist etwas Tierisches, wenn sich in ihr nicht Geist ver-
birgt ( wenn ihr nicht Geist zugrunde liegt).“ Zunächst jedoch lehnt
Plotin eine gängige, in ihrem möglichen Sinn allerdings reduzierte
Definition ab, die durchaus von ihr selbst her die intelligible oder
geistige Grundlegung des erscheinenden Schönen deutlich machen
könnte, sofern Relation eine intelligible Kategorie ist. Diese Defi-
nition versteht das Schöne von der Symmetrie her: der Symmetrie
der Teile zueinander und dieser zu einem Ganzen; hinzukommen
müsse das Moment der „schönen Farbe“33.
Vom ethischen Ansatz Plotins her scheint eine Epoche gegenüber
dieser Definition nicht unmittelbar einleuchtend. Begriffe wie 'symme-
tron’, Maß oder Grenze nämlich sind seit deren Diskussion in Platons
'Philebos’ durchaus ethische Kategorien, deren Intention zur „Ästhe-
32 Frg. 105.
33 l,22f. - Die Definition, auf die Plotin sich bezieht, ist etwa von Cicero aus
stoischer Philosophie heraus tradiert und wurde bei Augustinus zusammen
mit neuplatonischen Elementen wiederum wirksam und für die Folgezeit be-
stimmend: Ut corporis est quaedam apta figura membrorum cum coloris qua-
dam suavitate eaque dicitur pulchritudo: sic in animo opinionum iudiciorumque
aequabilitas et Constantia cum firmitate quadam et stabilitate virtutem subse-
quens aut virtutis vim ipsam continens pulchritudo vocatur (Tusculanae disputa-
tiones IV 13,31). - Für den Begriff des Schönen bei Plotin ist vor allem auf-
schlußreich: A. H. Armstrong, Beauty and Discovery of Divinity in the Thought
of Plotinus, in: Kephalaion, Studies in Greek Philosophy and its Continuation
offered to Prof. C. J. de Vogel, Assen 1975, 155-163. Aus der früheren Literatur,
die den Begriff des Schönen auch auf die Ästhetik hin zu sehen versucht,
ist herauszuheben: E. de Keyser, La signification de l’art dans les Enneades
de Plotin, Louvain 1955.
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Der ethische Ansatz- und Zielpunkt der Frage nach dem Schönen
ist also auch hier deutlich. Die Annahme verschiedener Intensitäts-
grade des Schönen weist darauf hin, daß dessen Wesen nicht in dem
Erscheinenden, also auch nicht in der unmittelbar anziehenden Schön-
heit des Körpers denkbar ist; das Schön-Sein des sinnlich Erscheinen-
den beruht vielmehr in einem ihm transzendenten Sein, das dieses
durch Intelligibilität oder „geistiges Sein“ begründet. Was also ist
das in den Körpern anwesende Schöne? Was ist das Anziehende der
Schönheit (l,18f)? Die Gedankenbewegung Plotins transformiert in
der Antwort auf diese Frage einen frühgriechischen Grundsatz
über das Schöne; er findet sich bei Demokrit32: „Die Schönheit
des Körpers ist etwas Tierisches, wenn sich in ihr nicht Geist ver-
birgt ( wenn ihr nicht Geist zugrunde liegt).“ Zunächst jedoch lehnt
Plotin eine gängige, in ihrem möglichen Sinn allerdings reduzierte
Definition ab, die durchaus von ihr selbst her die intelligible oder
geistige Grundlegung des erscheinenden Schönen deutlich machen
könnte, sofern Relation eine intelligible Kategorie ist. Diese Defi-
nition versteht das Schöne von der Symmetrie her: der Symmetrie
der Teile zueinander und dieser zu einem Ganzen; hinzukommen
müsse das Moment der „schönen Farbe“33.
Vom ethischen Ansatz Plotins her scheint eine Epoche gegenüber
dieser Definition nicht unmittelbar einleuchtend. Begriffe wie 'symme-
tron’, Maß oder Grenze nämlich sind seit deren Diskussion in Platons
'Philebos’ durchaus ethische Kategorien, deren Intention zur „Ästhe-
32 Frg. 105.
33 l,22f. - Die Definition, auf die Plotin sich bezieht, ist etwa von Cicero aus
stoischer Philosophie heraus tradiert und wurde bei Augustinus zusammen
mit neuplatonischen Elementen wiederum wirksam und für die Folgezeit be-
stimmend: Ut corporis est quaedam apta figura membrorum cum coloris qua-
dam suavitate eaque dicitur pulchritudo: sic in animo opinionum iudiciorumque
aequabilitas et Constantia cum firmitate quadam et stabilitate virtutem subse-
quens aut virtutis vim ipsam continens pulchritudo vocatur (Tusculanae disputa-
tiones IV 13,31). - Für den Begriff des Schönen bei Plotin ist vor allem auf-
schlußreich: A. H. Armstrong, Beauty and Discovery of Divinity in the Thought
of Plotinus, in: Kephalaion, Studies in Greek Philosophy and its Continuation
offered to Prof. C. J. de Vogel, Assen 1975, 155-163. Aus der früheren Literatur,
die den Begriff des Schönen auch auf die Ästhetik hin zu sehen versucht,
ist herauszuheben: E. de Keyser, La signification de l’art dans les Enneades
de Plotin, Louvain 1955.