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Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 11. Abhandlung): Marsilio Ficinos Theorie des Schoenen im Kontext des Platonismus: vorgetragen am 28. Juni 1980 — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45488#0028
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Werner Beierwaltes

bende und reflexiv durchsichtigmachende Funktion im Bereich des
Sinnlichen evident.
Der Rückgang des Denkens in sich selbst durch das Medium von
Abstraktion und Katharsis (I 6,8 f) führt nicht nur zum Anblick des
absoluten Schönen, sondern - nun differenzierter begründet als bei
Platon - zu der personalen Umformung des Menschen in ein inne-
res Schön-Sein. Hierzu einen plausiblen Impuls zu geben, ist eines
der wesentlichen Ziele plotinischen Denkens. Das Ende der Enneade
I 6 formuliert dies eindringlich im Horizont des platonischen
öp,oiwou;-Gedankens: „Kehre ein zu dir selbst und sieh dich an;
und wenn du siehst, daß du noch nicht schön bist, so handle wie
der Bildhauer, der von einem Bildnis, welches schön werden soll,
hier etwas fortmeißelt, dort etwas ebnet, dies glättet, und ein anderes
klar (glänzend) macht, bis er das schöne Antlitz an dem Bildnis
zustande gebracht hat: so meißle auch du fort, was überflüssig und
mach gerade, was krumm ist, das Dunkle säubere und mach es da-
durch hell und laß nicht ab, 'dein Bildnis zu bauen’, bis dir her-
vorstrahlt der gottförmige Glanz der Tugend, bis du die sophrosyne
(Besonnenheit) erblickst 'thronend auf ihrem heiligen Sitz’“. ...
„Du wirst ganz und gar reines, wahres Licht“ (tpwc; cdpöivov
pövov)50. Die Intention des Menschen, innerlich schön zu sein oder
zu werden, wird durch das Sehen des Schönen selbst in ihr voll-
endendes Ende gebracht. Dieses Ende aber ist wiederum nur erreich-
bar durch eine intensive Vorbereitung in der schon genannten re-
flexiven Abstraktion"1. Bewegung und Ziel fordern sich gegenseitig.
„Kein Auge könnte je die Sonne sehen, wäre es nicht sonnenhaft;
so sieht auch keine Seele das Schöne, welche nicht schön geworden
ist. Es werde also ein jeder zuerst ganz gottähnlich und ganz schön,
wer Gott und das Schöne schauen will“52.
Daß dieser verwandelnde Aufstieg des Denkens durch Eros bewegt
wird, ist für Plotin evident. Aufgrund seines Mitte-Seins ist Eros
„Auge der Sehnsucht“ (III 5,2,40): er vermittelt zwischen dem Er-
sehnten und dem Ersehnenden in diesem auf ein „Sehen“ des wahren
Seins hin. Eros ist im Sinne Plotins allerdings nicht nur ein 'Pathos’
(III 5,1,1 Off) des Menschen, ihm kommt auch eine universale Form
50 I 6,9,7ff; 19.
51 Zum Problem im ganzen vgl. W. Beierwaltes, Reflexion und Einung, in: Grund-
fragen der Mystik (zus. mit H. U. v. Balthasar und A. M. Haas), Einsiedeln 1974.
52 I 6,9,31-34.
 
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