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Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 11. Abhandlung): Marsilio Ficinos Theorie des Schoenen im Kontext des Platonismus: vorgetragen am 28. Juni 1980 — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45488#0034
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Werner Beierwaltes

ist in einem präzisen (lichtmetaphorischen) Sinne „Reflex“ des
Grundes im Bereich seiner eigenen Andersheit.
Eine weitere Bestimmung von Schönheit, die diese als eine Ver-
äußerung ihres Grundes charakterisiert76, ist: gratia, gratia vivax et
spiritalis, gratiosum aliquid - schwer durch einen eindeutigen Ter-
minus wiederzugeben. Am ehesten trifft „Anmut“ zu: dasjenige
Moment der Schönheit, das „anziehend“ wirkt, das uns „erfreut“,
„hinreißt“ und „entflammt“77. Im Kontext dieses Gedankens steht die
auf Platon zurückgehende, auch von Ficino des öfteren gebrauchte
etymologisierende Auslegung des Wortes xccXov; es benenne - von
xcdciv = 'rufen’ abgeleitet - das Anziehende, „Ent-zückende“, Heraus-
rufende, Zurückführende der Schönheit in verschiedenen Bereichen:
im moralischen, im gestalthaften (der die bildende Kunst impli-
ziert) und im musikalischen. Schönheit also ist als gratia 'provo-
catio’ des Denkens, des Sehens und Hörens78. Für Ficino konkreti-
76 Durch die Metapher „flos“ charakterisiert: pulchritudo als „bonitatis flos“ (A V 12;
179). Der Gebrauch dieser Metapher ist von dem bei Plotin (vgl. oben Anm. 38)
verschieden, rührt aber wohl von ihm her (wenn auch Ficino die entsprechende
Plotin-Stelle nicht adäquat übersetzt: p. 344 d. Ausgabe Paris 1562. Kommentar
zu Plot. I 6,5, Opera II 1577: pulchritudo ... flos ... gratia formae). - Eine zu
Ficinos Formulierung: „pulchritudo bonitatis flos“ oder „divini boni splendor“
(Anm. 68 und PT XII 3; II 164: bonum, cuius splendor est pulchritudo)
analoge Aussage F. C. Oetingers (Sämtl. Schriften, II. Abt., Bd. 5, Stuttgart 1863,
403): „Die Schönheit ist der Glanz der göttlichen Güte.“ Der „Schimmer der
Schönheit“ „strahlt auf die Geschöpfe aus“ ... „Daher haben die alten Weisen
die Güte Gottes in die Mitte gesetzt, und die Schönheiten der Geschöpfe in den
Umfang“ (Kreis-Metaphorik!).
77 A V 6; 190: ... concludamus pulchritudinem esse gratiam quamdam vivacem et
spiritalem, dei radio illustrante, angelo primum infusam ... animos nostros movet
atque delectat, delectando rapit, rapiendo ardenti inflammat amore. Ferner:
A I 4; 142. II 2; 147. V 2. 181, 4; 185. gratia formae (= pulchritudo) im Kom-
mentar zu Plot. I 6,5 (Op. II 1577). Zu I 6,1 (II 1574): gratiosum aliquid, gratia
alliciens. Plot. VI 7,22,7: %apu; als Wirkung des durch das Eine bedingten Schönen.
(pö<; und %apu; als Qualitäten der Zeus-Statue des Phidias (Dio Chrysost. oratio
XII 52: TOöofko cpcbc; xai Tocravvr] %apu; exeoriv äirö vfj<; te%vt|<;). A II 9; 159:
pulchritudo autem splendor quidam est, humanum ad se rapiens animum.
78 V 2; 181: ad se vocat et rapit. Zu Plotin I 6 (Einleitung des Kommentars),
Opera II 1574: Proprium vero pulchritudinis est allicere simul et rapere. Unde
graece Calon quasi provocans appellatur. Zu Herkunft und Gebrauch dieser
etymologisierenden Deutung vgl. W. Beierwaltes, Negati affirmatio: Welt als
Metapher. Zur Grundlegung einer mittelalterlichen Ästhetik durch Johannes
Scotus Eriugena, in: Philosophisches Jahrbuch 83, 1976, 256, Anm. 84/85 u. 246,
Anm. 42.
 
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