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Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 11. Abhandlung): Marsilio Ficinos Theorie des Schoenen im Kontext des Platonismus: vorgetragen am 28. Juni 1980 — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45488#0037
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Marsilio Ficinos Theorie des Schönen im Kontext des Platonismus

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sozusagen die nicht-materielle Vorbedingung (praeparatio) dafür,
daß Schönheit in der Materie gestaltgebend und „harmonisierend“
erscheint85. Beide Bestimmungselemente des Schönen: Licht oder
Glanz, gratia als Sich-Verströmen oder Ausstrahlung des absoluten
Grundes, sowie Geordnetheit oder maßvolles, „harmonisches“ Zu-
sammenstimmen werden daher in der Benennung zu einer Einheit
verbunden: Schönheit sei 'lucida proportic? im Bereich des Intelli-
giblen und des Sinnenfälligen, lichtend gliederndes Durch-Dringen
und in sich lichte Strukturiertheit86. Dieser Gedanke ist sowohl mit
Augustinus87 als auch mit Thomas88 verbunden, insofern der eine
das Schöne in der Zahlhaftigkeit des Seienden gegründet sieht - oder
der Relationalität des Seienden zum Einen hin, die in der qualitativ
bestimmenden Zahlhaftigkeit des Seienden besteht, das Prädikat
„schön“ zuspricht -, der andere aber Proportionalität und Klarheit
(claritas) als Wesenskonstituentien des Schönen betrachtet. - Ange-
sichts der eindeutigen Prävalenz der Überzeugung Ficinos, das Schöne
sei „aliquid incorporeum“, sei also wesenhaft intelligibel, ist es immer-
hin bemerkenswert, daß dem körperlichen Schönen und dem Natur-
Schönen ein relativ weiter Raum in der Diskussion um dessen eigene
intelligible Grundgelegtheit zugestanden wird (z. B. de amore, or. V 3).
Trotz aller platonischen Tendenz des Spiritualisierens scheint sich hier
ein der Renaissance eigentümlicher Zug zu zeigen, der die Körperlich-
keit neu bewertet, freilich ohne diese zu verselbständigen oder den
Gedanken, sie sei Manifestationsbasis eines Intelligiblen, zu ver-
drängen.
Das Schöne als die im Körperhaft-Sinnlichen erscheinende 'provo-
catio’ appelliert an die Möglichkeit im Menschen, sich in der Er-
85 A V 6; 188f. Vgl. Aug. de nat. boni 3.23. de Civ. Dei V 11. Die Trias
'modus - species - ordo’ steht in sachlicher Verbindung zu der Trias: 'mensura -
numerus - pondus’, die sowohl kosmologische (Interpretation von Sapientia
11,21) als auch „ästhetische“ Bedeutung hat. Vgl. auch Fic. PT II 12; I 113:
ordo - decor, ausgehend von Gott als der höchsten Schönheit.
86 Brief an Giovanni Cavalcanti, Ep. I, Opera I 631: Pulchritudo corporis non in
umbra materiae, sed in luce et gratia formae, non in tenebrosa mole, sed in
lucida quadam proportione, non in pigro ineptoque pondere, sed in convenienti
numero et mensura consistit.
87 Vgl. hierzu W. Beierwaltes, Aequalitas numerosa. Zu Augustins Begriff des
Schönen (vgl. Anm. 25), bes. 146ff. R. J. O’Connell, Art and the Christian
Intelligence in St. Augustine, Oxford 1978, 50ff.
88 F. J. Kovach, Die Ästhetik des Thomas von Aquin, Berlin 1961, 106ff über die
Zusammengehörigkeit von 'integritas - claritas - proportio’.
 
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