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Alföldy, Géza; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 8. Abhandlung): Die Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft des Roemischen Kaiserreiches: Erwartungen u. Wertmassstäbe ; vorgetragen am 1. Dezember 1979 — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45485#0010
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8

Geza Alföldy

römischen Osten wird der Wohltäter ähnlicherweise verherrlicht - so
etwa als σωτήρ und εύεργέτης der Stadtgemeinde und κοινή και κα[τ’]
ίδιαν πάντων, oder für seine Verdienste, die er [τοΐς πολίτ]αις πασι
κα[ΐ κοινήι και ί]δίαι έκάστωι τώ(ν) πολιτών oder gar τω έϋνει και
τή πόλει και τοΐς καϋ’ ένα entgegenbrachte4. Auffällig ist nur der Unter-
schied, daß in den lateinischen Inschriften fast immer zuerst von den
Einzelnen und erst danach von der Gemeinschaft die Rede ist,
während im Sprachgebrauch der griechischen Inschriften der Indi-
vidualbegriff an den Kollektivbegriff angeschlossen wird. Ein ähnlicher
Unterschied läßt sich oft auch in den literarischen Texten feststellen:
Während z. B. Cicero mit seiner Forderung unum debet esse omnibus
propositum, ut eadem sit utilitas uniuscuiusque et universorum das
über allem stehende Gemeininteresse durch die erwünschte Inter-
essengemeinschaft der Einzelnen unterstreichen wollte5, läßt etwa
Lukian einmal einen Bürger von Delphoi über die Interessen seiner
Heimat so nachdenken, daß dieser erwägt, was der Gemeinde und -
dadurch - auch jedem einzelnen Bürger, τω τε κοινω ήμών και ίδια
έκάστω Δελφών, zum Nutzen wäre6. Entscheidend ist jedoch das
Gemeinsame in allen erwähnten Texten, deren Zahl und Varianten
sich beliebig vermehren ließen: Die Gemeinschaft, d. h. das organi-
sierte Gemeinwesen, war im römischen Reich kein Kollektivum,
in welchem der Einzelne anonym und spurlos verschwand, sondern
ein Organismus, der sich dessen bewußt war, daß er aus einzelnen
eigenständigen Gliedern bestand.
Eine derartige Feststellung klingt freilich nicht nur simpel, sondern
könnte uns irrefuhren. Die Versuchung ist nämlich groß, die Rolle
der Einzelpersönlichkeit in der Gesellschaft Roms mit dem Hinweis
auf die Eigenständigkeit des Individuum unter dem Einfluß von Vor-
mit dem Text quod i[anf\a familiaritate et [indu]stria sua singulos u[ni]bersosque
(sic) tueatur et fobeat (sic); CIL IX 1459 mit dem Text ob exsimiam (sic) ad-
fectionem tarn in singulos quam in universos cives; CIL X 1783 = ILS 5919 mit
dem Text vir probissimus et singulis et universis karus (sic); usw.
4 Beispiele nach IGRR III 523 = ΤΑΜ II 134 (ganz ähnlich übrigens auch
IGRR III 520 = ΤΑΜ II 133); ΤΑΜ II 2; IGRR III 513.
5 Cic., Off. 3,26 (6). Zum literarischen Sprachgebrauch vgl. noch etwa Cic., Sen.
30 (12): vobis vero, patres conscripti, singulis et egi et agam gratias; universis
egi initio, quantum potui; Cic., Catil. 4,12 (6): qui singulas unius cuiusque nostrum
domos et hoc Universum rei publicae domicilium delere conati sunt', Tac., Hist.
3,14,1: haec singuli, haec universi, ut quemque dolor impulerat, vociferantes, usw.
6 Lukian, Phalaris 2,10.
 
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