Die Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft
11
Individuums’, welches sich bei Caesar zu einer 'individualistischen
Besessenheit von seinem Ranganspruch’ steigerte13, oder die von
J. Bieicken hervorgehobene 'äußerst harte und zu jeder Zeit spürbare
Disziplinierung’ des römischen Aristokraten, bei dem 'alles latente
Streben nach Individualismus von den Anforderungen der ins Maßlose
gewachsenen Herrschaft paralysiert’ wurde14? Und mit besonderer
Deutlichkeit stellt sich die Frage: Inwieweit gelten derartige Fest-
stellungen, durch welche die Position des römischen Aristokraten
während der Republik charakterisiert werden soll, für die soziale und
geistige Welt der Kaiserzeit?
H. Strasburger hat seinen berühmten Artikel 'Der Einzelne und die
Gemeinschaft im Denken der Griechen’ mit folgendem Satz einge-
leitet.· 'Wer je die Erfahrung gemacht hat, wie schwer es ist, sich
über ein bedeutenderes geistesgeschichtliches Thema kurz zu fassen,
ohne vollkommen an der Oberfläche zu bleiben, der wird es verstehen,
wenn ich meine heutige Aufgabe verengere und die Auswahl des
Einzelnen subjektiv treffe, um nur überhaupt etwas Persönliches
geben zu können’15. Es sei mir erlaubt, diesem Beispiel zu folgen.
Denn das Thema könnte unendlich breit gefaßt sein und aus ganz
verschiedenen Richtungen aufgerollt werden, so etwa ausgehend
von der Menschenlehre der antiken Philosophie, von der römischen
Rechtstheorie der Person, von der Darstellung des Einzelnen in der
lateinischen Literatur, von der Erfassung des Individuellen in der Por-
trätkunst und durch das historische Relief oder von der Beschreibung
individueller Züge in der praktischen Politik oder im Privatleben
einzelner römischer Kaiser. Ich möchte mich auf folgenden Fragen-
komplex beschränken: Welche Verhaltensweisen und Taten wurden
von der Gesellschaft des Römischen Reiches wirklich als individuell
betrachtet, worin wurde ihre Individualität erblickt, und welche Be-
deutung wurde derartigen Verhaltensweisen und Handlungen zuge-
wiesen? Um dem problematischen Begriff des 'Individuellen’ einen
unmißverständlichen Sinn zu geben, sollen hier jene Verhaltensweisen
und Handlungen Einzelner erfaßt werden, welche sich von uns des-
halb als 'individuell’ bezeichnen lassen, weil sie von den Römern aus-
drücklich als außergewöhnlich und einzigartig oder gar als einmalig
13 H. Strasburger, HZ 177, 1954, 232f. und 237 (von hier auch in: Zur griechi-
schen Staatskunde, hg. v. F. Gschnitzer [Darmstadt 1969] 104 und 108).
14 J. Bieicken, Die Verfassung der römischen Republik (Paderborn 1975) 246.
15 H. Strasburger, HZ a.O. 227 (von hier auch in: Zur griechischen Staatskunde 97).
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Individuums’, welches sich bei Caesar zu einer 'individualistischen
Besessenheit von seinem Ranganspruch’ steigerte13, oder die von
J. Bieicken hervorgehobene 'äußerst harte und zu jeder Zeit spürbare
Disziplinierung’ des römischen Aristokraten, bei dem 'alles latente
Streben nach Individualismus von den Anforderungen der ins Maßlose
gewachsenen Herrschaft paralysiert’ wurde14? Und mit besonderer
Deutlichkeit stellt sich die Frage: Inwieweit gelten derartige Fest-
stellungen, durch welche die Position des römischen Aristokraten
während der Republik charakterisiert werden soll, für die soziale und
geistige Welt der Kaiserzeit?
H. Strasburger hat seinen berühmten Artikel 'Der Einzelne und die
Gemeinschaft im Denken der Griechen’ mit folgendem Satz einge-
leitet.· 'Wer je die Erfahrung gemacht hat, wie schwer es ist, sich
über ein bedeutenderes geistesgeschichtliches Thema kurz zu fassen,
ohne vollkommen an der Oberfläche zu bleiben, der wird es verstehen,
wenn ich meine heutige Aufgabe verengere und die Auswahl des
Einzelnen subjektiv treffe, um nur überhaupt etwas Persönliches
geben zu können’15. Es sei mir erlaubt, diesem Beispiel zu folgen.
Denn das Thema könnte unendlich breit gefaßt sein und aus ganz
verschiedenen Richtungen aufgerollt werden, so etwa ausgehend
von der Menschenlehre der antiken Philosophie, von der römischen
Rechtstheorie der Person, von der Darstellung des Einzelnen in der
lateinischen Literatur, von der Erfassung des Individuellen in der Por-
trätkunst und durch das historische Relief oder von der Beschreibung
individueller Züge in der praktischen Politik oder im Privatleben
einzelner römischer Kaiser. Ich möchte mich auf folgenden Fragen-
komplex beschränken: Welche Verhaltensweisen und Taten wurden
von der Gesellschaft des Römischen Reiches wirklich als individuell
betrachtet, worin wurde ihre Individualität erblickt, und welche Be-
deutung wurde derartigen Verhaltensweisen und Handlungen zuge-
wiesen? Um dem problematischen Begriff des 'Individuellen’ einen
unmißverständlichen Sinn zu geben, sollen hier jene Verhaltensweisen
und Handlungen Einzelner erfaßt werden, welche sich von uns des-
halb als 'individuell’ bezeichnen lassen, weil sie von den Römern aus-
drücklich als außergewöhnlich und einzigartig oder gar als einmalig
13 H. Strasburger, HZ 177, 1954, 232f. und 237 (von hier auch in: Zur griechi-
schen Staatskunde, hg. v. F. Gschnitzer [Darmstadt 1969] 104 und 108).
14 J. Bieicken, Die Verfassung der römischen Republik (Paderborn 1975) 246.
15 H. Strasburger, HZ a.O. 227 (von hier auch in: Zur griechischen Staatskunde 97).