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Geza Alföldy
Zu den πρωτεύοντες oder zu denprincipes gehörte aber der Einzelne
nicht durch die Eigenart seiner Person, sondern dadurch, daß er einem
kollektiven Ideal entsprach. Bezeichnenderweise galt der in den grie-
chischen Inschriften durch die Begriffe πρώτος oder πρωτεύειν zum
Ausdruck gebrachte Vorrang nicht ausschließlich dem einzelnen
Bürger, sondern oft auch seinem Geschlecht, dem πρώτον γένος
oder dem γένος πρωτεύον121. Ebenso bezeichnend ist es, daß 'die
Ersten’ nicht nur als Einzelne erscheinen, sondern soziale Gruppen
bilden wie etwa die principes im Senatorenstand, die principes oder
principales und die πρωτεύοντες oder πρωτεύσαντες in den Gemein-
den - wobei es dann innerhalb der Gruppe der 'Ersten’ logischer-
weise auch eine innere Stratifikation gibt, indem etwa in den Städten
die zehn oder gelegentlich zwanzig 'rangersten Ersten’, die decem-
primi oder δεκάπρωτοι bzw. die εΐκοσάπρωτοι, von den übrigen,
nicht ganz 'ersten’ Ersten unterschieden werden122. Der Glanz von An-
sehen, Anerkennung, Prestige fiel auf den Einzelnen als auf den
Angehörigen einer Gruppe, auf denjenigen, der eine festgelegte ge-
sellschaftliche Position einnahm, der eine vorgeschriebene Rolle
spielte - ohne in der wirklichen Einmaligkeit und Einzigartigkeit
seiner Person in Erscheinung zu treten.
Vor allem darin lag letztlich überhaupt nichts Persönliches mehr,
was der Einzelne tun mußte, um dieses 'einzigartige’ Sozialprestige
zu erlangen oder, falls es geerbt war, zu wahren. Der berühmte
Lykier Opramoas etwa, Nachkomme von πρωτεύσαντες, dem zwi-
schen 125 und 151 n. Chr. nicht weniger als 24 erhaltene und genau
datierte Texte bescheinigen, daß er ein 'Erster’ war, hat hierfür
selber - nach Ausweis dieser Texte - nichts anderes getan als fort-
laufend gezahlt, oder anders formuliert, die Tugend der Freigebigkeit
in einem überdurchschnittlichen Maße und kontinuierlich praktiziert.
zum Titel pantomimus sui temporis primus siehe auch noch CIL V 5889 = ILS
5195; CIL XIV 4624; EE VIII 369 = ILS 5186. Siehe auch noch CIL VI 10106 -
ILS 5211 und CIL VI 10107 = ILS 5212 mit je einer archimima sui temporis
prima, ferner CIL VI 10121 = ILS 5234 mit einem chorau[la] urbis Roma[e et]
provinciarum [primus],
121 Siehe etwa IGRR III 207 = E. Bosch, Quellen zur Geschichte der Stadt Ankara
84f. Nr. 78; IGRR III 409; 417; 649. Vgl. auch z.B. IGRR III 143 mit εύγενίη
πρώτος.
122 Vgl. dazu Brandis, RE IV 2 (1901) 2254f. und 2417ff.; F. F. Abbott - A. Ch. John-
son, Municipal Administration in the Roman Empire (Princeton 1926) 113;
W. Dittenberger, RE V 2 (1905) 2099 f.
Geza Alföldy
Zu den πρωτεύοντες oder zu denprincipes gehörte aber der Einzelne
nicht durch die Eigenart seiner Person, sondern dadurch, daß er einem
kollektiven Ideal entsprach. Bezeichnenderweise galt der in den grie-
chischen Inschriften durch die Begriffe πρώτος oder πρωτεύειν zum
Ausdruck gebrachte Vorrang nicht ausschließlich dem einzelnen
Bürger, sondern oft auch seinem Geschlecht, dem πρώτον γένος
oder dem γένος πρωτεύον121. Ebenso bezeichnend ist es, daß 'die
Ersten’ nicht nur als Einzelne erscheinen, sondern soziale Gruppen
bilden wie etwa die principes im Senatorenstand, die principes oder
principales und die πρωτεύοντες oder πρωτεύσαντες in den Gemein-
den - wobei es dann innerhalb der Gruppe der 'Ersten’ logischer-
weise auch eine innere Stratifikation gibt, indem etwa in den Städten
die zehn oder gelegentlich zwanzig 'rangersten Ersten’, die decem-
primi oder δεκάπρωτοι bzw. die εΐκοσάπρωτοι, von den übrigen,
nicht ganz 'ersten’ Ersten unterschieden werden122. Der Glanz von An-
sehen, Anerkennung, Prestige fiel auf den Einzelnen als auf den
Angehörigen einer Gruppe, auf denjenigen, der eine festgelegte ge-
sellschaftliche Position einnahm, der eine vorgeschriebene Rolle
spielte - ohne in der wirklichen Einmaligkeit und Einzigartigkeit
seiner Person in Erscheinung zu treten.
Vor allem darin lag letztlich überhaupt nichts Persönliches mehr,
was der Einzelne tun mußte, um dieses 'einzigartige’ Sozialprestige
zu erlangen oder, falls es geerbt war, zu wahren. Der berühmte
Lykier Opramoas etwa, Nachkomme von πρωτεύσαντες, dem zwi-
schen 125 und 151 n. Chr. nicht weniger als 24 erhaltene und genau
datierte Texte bescheinigen, daß er ein 'Erster’ war, hat hierfür
selber - nach Ausweis dieser Texte - nichts anderes getan als fort-
laufend gezahlt, oder anders formuliert, die Tugend der Freigebigkeit
in einem überdurchschnittlichen Maße und kontinuierlich praktiziert.
zum Titel pantomimus sui temporis primus siehe auch noch CIL V 5889 = ILS
5195; CIL XIV 4624; EE VIII 369 = ILS 5186. Siehe auch noch CIL VI 10106 -
ILS 5211 und CIL VI 10107 = ILS 5212 mit je einer archimima sui temporis
prima, ferner CIL VI 10121 = ILS 5234 mit einem chorau[la] urbis Roma[e et]
provinciarum [primus],
121 Siehe etwa IGRR III 207 = E. Bosch, Quellen zur Geschichte der Stadt Ankara
84f. Nr. 78; IGRR III 409; 417; 649. Vgl. auch z.B. IGRR III 143 mit εύγενίη
πρώτος.
122 Vgl. dazu Brandis, RE IV 2 (1901) 2254f. und 2417ff.; F. F. Abbott - A. Ch. John-
son, Municipal Administration in the Roman Empire (Princeton 1926) 113;
W. Dittenberger, RE V 2 (1905) 2099 f.