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Alföldy, Géza; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 8. Abhandlung): Die Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft des Roemischen Kaiserreiches: Erwartungen u. Wertmassstäbe ; vorgetragen am 1. Dezember 1979 — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45485#0040
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Geza Alföldy

και άξιος πρωτεύειν έν τοΐς άρίστοις128, sein sollte, hat auch Dion
nichts anderes zu empfehlen gehabt als die Vollkommenheit in den
konventionellen Tugenden: das Gefühl von Ehre und Unehre129; die
Bereitschaft, 'mit der ganzen Welt an Gerechtigkeit und Tüchtigkeit
zu wetteifern, mit dem Beispiel einträchtiger Freundschaft voranzu-
gehen und darin den anderen überlegen zu sein’130; das Bestreben der
Bürger, daß sie 'frei von Neid und Scheelsucht miteinander und mit
allen anderen Menschen an Tüchtigkeit und Ansehen, ihrem eigenen
so gut wie den der Vaterstadt, wetteifern, daß jeder bemüht ist, an
Gerechtigkeit und Patriotismus der erste in der Stadt zu sein’131.
Diesen letzten Satz sagte Dion von seinem Sohn, von seinem
Neffen und von anderen jungen Leuten in Prusa. Eins bleibt freilich
unklar: Gesetzt den Fall, daß sie alle wirklich sein Ideal verkörperten,
hätte er dann seinen Sohn und seinen Neffen von anderen jungen
Leuten nicht nur durch deren Gestalt und Stimme, sondern auch durch
Verhalten und Leistung unterscheiden können? Denn seine Aufforde-
rung zur Vollkommenheit läßt sich - kraß formuliert - folgender-
maßen verstehen: Wer innerhalb der Gesellschaftsordnung Roms
etwas Außergewöhnliches werden wollte, der mußte sich gewohn-
heitsmäßig verhalten.
4.
Damit sind wir wieder bei unserer ursprünglichen Fragestellung an-
gelangt: Welche Verhaltensweisen und Taten wurden von der Gesell-
schaft des Römischen Reiches wirklich als individuell betrachteü worin
wurde ihre Individualität erblickt, und welche Bedeutung wurde ihnen
zugewiesen? Die Antwort müßte lauten: Die Individualität wurde
nicht primär an persönlichen Fähigkeiten, Interessen, Ambitionen,
nicht an der Einzigartigkeit und Einmaligkeit, nicht an der Originali-
tät, nicht an der Unwiederholbarkeit des einzelnen Menschen ge-
messen, sondern an dessen Verhältnis zu Roms kollektiver moralischer
Ordnung, zum Kanon der Werte der römischen Tradition; als indi-
viduell im Sinne der Einmaligkeit und Einzigartigkeit galt die Ver-
128 Ebd. 18,1.
129 Ebd. 31,159.
130 Ebd. 34,45.
131 Ebd. 44,8.
 
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