I
Regio beatitudinis - Dimension des Glücks1: die Frage nach ihr war
sowohl für die antike Philosophie als auch für die christliche Theologie
zentral, sofern es ihr um die Bestimmung des Menschen ging. Die Fra-
ge, was Glück, glückliches oder geglücktes, erfülltes Leben sei, konnte
nur im Zusammenhang mit der Frage nach den Möglichkeiten des Men-
schen, nach seinem Ziel und nach dem „höchsten Gut“ in sich und für
ihn reflektiert werden. Bisweilen verstand sich Philosophie sogar - zum
Beispiel in der Stoa und bei Epikur - als eine umfassende Anweisung
zum glücklichen Leben, die die Reflexion auf alle Gegenstandsbereiche
in den Dienst dieses einen Gedankens stellte. Nachdem die Frage nach
dem Glück für einige Zeit zumindest als offenes Thema (im Sinne eines
eher popularphilosophischen Bedürfnisses) verdrängt war - zum Bei-
spiel in der rein transzendentalen Phänomenologie, dem seinsgeschicht-
lichen Denken und der positivistischen Wissenschaftstheorie - beginnt
sie in der Philosophie der Gegenwart wieder ganz entschieden ins Be-
Vorbemerkung
Dieser Text wurde für die ‘Saint Augustine Lecture’ des Jahres 1980 an der Universität
Villanova (Pennsylvania, USA) geschrieben. In englischer Übersetzung erscheint er in
der von Robert P. Russell, R. J. DeSimone und B. A. Paparella herausgegebenen Reihe
der ‘Saint Augustine Lectures’ des Augustinian Institute an der Villanova University.
1 Der Titel "regio beatitudinis’ ist sprachlich durch analoge Verbindungen Augustins ge-
rechtfertigt, z. B. Beata vita 3: regio beatae vitae; Conf. IX 10,24: regio ubertatis in-
deficientis (als Bezeichnung des göttlichen Seins). Lib. arb. II 11,30 (Gott als „Be-
reich“ der „unwandelbaren Wahrheit“ von Zahl und Idee); Conf. VII 10,16: regio
dissimilitudinis (Welt als Dimension des Unähnlichen [in der Ähnlichkeit] gegenüber
Gott, terminologisch und sachlich anknüpfend an Plat. Polit. 273 d 6f und Plot. I 8,
13, 16f. VgL E. TeSelle, ‘Regio dissimilitudinis’ in the Christian tradition and its con-
text in late Greek Philosophy, in: Aug. Studies 6, 1975, 153-179). [Nachträglich finde
ich als Bestätigung des Titels den Terminus ‘regio beatitudinis’ in der Predigt des
Achard de Saint Victor (Abt von St. Victor in Paris von 1155 - 1161) zum Fest des
Hl. Augustinus. Ausgehend von Conf. VII 10,16: „In regione dissimilitudinis, in qua
invenit se Augustinus longe esse a Deo“ entwickelt er drei ‘regiones similitudinis’ (-
increatae trinitatis, aequalitatis, unitatis): prima naturae, secunda iustitiae, tertia vitae
beatae. VgL Achard de Saint-Victor, Sermons inedits, ed. J. Chatillon, Paris 1970,
lOlff. 107: ‘regio beatitudinis’.]
Regio beatitudinis - Dimension des Glücks1: die Frage nach ihr war
sowohl für die antike Philosophie als auch für die christliche Theologie
zentral, sofern es ihr um die Bestimmung des Menschen ging. Die Fra-
ge, was Glück, glückliches oder geglücktes, erfülltes Leben sei, konnte
nur im Zusammenhang mit der Frage nach den Möglichkeiten des Men-
schen, nach seinem Ziel und nach dem „höchsten Gut“ in sich und für
ihn reflektiert werden. Bisweilen verstand sich Philosophie sogar - zum
Beispiel in der Stoa und bei Epikur - als eine umfassende Anweisung
zum glücklichen Leben, die die Reflexion auf alle Gegenstandsbereiche
in den Dienst dieses einen Gedankens stellte. Nachdem die Frage nach
dem Glück für einige Zeit zumindest als offenes Thema (im Sinne eines
eher popularphilosophischen Bedürfnisses) verdrängt war - zum Bei-
spiel in der rein transzendentalen Phänomenologie, dem seinsgeschicht-
lichen Denken und der positivistischen Wissenschaftstheorie - beginnt
sie in der Philosophie der Gegenwart wieder ganz entschieden ins Be-
Vorbemerkung
Dieser Text wurde für die ‘Saint Augustine Lecture’ des Jahres 1980 an der Universität
Villanova (Pennsylvania, USA) geschrieben. In englischer Übersetzung erscheint er in
der von Robert P. Russell, R. J. DeSimone und B. A. Paparella herausgegebenen Reihe
der ‘Saint Augustine Lectures’ des Augustinian Institute an der Villanova University.
1 Der Titel "regio beatitudinis’ ist sprachlich durch analoge Verbindungen Augustins ge-
rechtfertigt, z. B. Beata vita 3: regio beatae vitae; Conf. IX 10,24: regio ubertatis in-
deficientis (als Bezeichnung des göttlichen Seins). Lib. arb. II 11,30 (Gott als „Be-
reich“ der „unwandelbaren Wahrheit“ von Zahl und Idee); Conf. VII 10,16: regio
dissimilitudinis (Welt als Dimension des Unähnlichen [in der Ähnlichkeit] gegenüber
Gott, terminologisch und sachlich anknüpfend an Plat. Polit. 273 d 6f und Plot. I 8,
13, 16f. VgL E. TeSelle, ‘Regio dissimilitudinis’ in the Christian tradition and its con-
text in late Greek Philosophy, in: Aug. Studies 6, 1975, 153-179). [Nachträglich finde
ich als Bestätigung des Titels den Terminus ‘regio beatitudinis’ in der Predigt des
Achard de Saint Victor (Abt von St. Victor in Paris von 1155 - 1161) zum Fest des
Hl. Augustinus. Ausgehend von Conf. VII 10,16: „In regione dissimilitudinis, in qua
invenit se Augustinus longe esse a Deo“ entwickelt er drei ‘regiones similitudinis’ (-
increatae trinitatis, aequalitatis, unitatis): prima naturae, secunda iustitiae, tertia vitae
beatae. VgL Achard de Saint-Victor, Sermons inedits, ed. J. Chatillon, Paris 1970,
lOlff. 107: ‘regio beatitudinis’.]