Regio Beatitudinis
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Schöne steht dort als Paradigma der Idee, des Seins also, das frei ist von
jeder Relativität, die ein partielles Nicht-Sein in es brächte; identisch
mit sich ist es nur es selbst, Grund jedoch der Teilhabe des „Anderen“
an ihm. Erreichbar ist es im methodisch strengen Durchgehen der „Stu-
fen“, d. h. der Wissens- und Seinsbereiche, die „vor“ ihm sind; Dialek-
tik als eine solche Vermittlung der Bereiche, bewegt vom Eros als dem
Impuls und der Kunst des Fragens und Wissen-Wollens, ist damit als die
Voraussetzung der Einsicht zu denken. Diese aber ereignet sich im
„Augenblick“: „plötzlich sieht der Geist ein seiner Natur nach wunder-
bares Schönes“ 43. Dieser Zustand des Lebens, in dem das Denken bei
dem Sein als dem eigentlichen Gegenstand des Wissens (αεί ον, δ έστι
καλόν) und des Wissenswerten anlangt44, ist für den Menschen, wenn
irgendeiner überhaupt, „lebenswert“, dies aber heißt: es ist glückliches
Leben, in dem er das „göttlich Schöne“, „das Schöne selbst“, „klar,
rein, unvermischt“ als Identisches und „Eingestaltiges“ sieht oder be-
trachtet45. Im Grunde gilt dies für das Erkennen der Idee überhaupt,
nicht nur der des Schönen46. Wenn das Gute selbst als das „Glücklichste
des Seins“ (τό εύδαιμονέστατον τού οντος) und das Göttliche über-
haupt als das „Glückseligste“ gedacht wird47, dann muß auch die An-
ähnlichung des Menschen an Gott48 als eine Einübung in das glückliche
Leben verstanden werden. Der Modus, in dem dies geschieht, ist nicht
reine Intellektualität, sondern eine von der Idee durchdrungene und be-
stimmte Praxis: δίκαιον καί όσιον μετά φρονήσεως γενέσθαι49. Er-
kenntnis in einem nicht nur formalen Sinn käme ohne diese Bedingung
nicht zustande oder sie destruierte sich selbst zu bloßem „Geschwätz“50,
c) Die Meinung Willy Theilers, „dem denkerischen Überschwang Plo-
tins liege (im Gegensatz zu Augustinus und Porphyrios) die Glückselig-
keitsproblematik fern“51, mag mit Gründen bezweifelt werden. Plotins
43 2 1 0 e 4ff. 211 e 1.
44 211 c 7. Im τελευτήσαι klingt der Mysterien-Terminus τελετή an.
45 211 a 2ff; b 1.
46 Daß ‘Erkennen’ mit ‘Sehen’ identisch gedacht ist, wird insbesondere durch das Son-
nengleichnis und Höhlengleichnis der ‘Politeia’ verdeutlicht, in denen die Idee des
Guten der höchste Gegenstand des Wissens ist, von dem her die übrigen Ideen sich
bestimmen. Zur Metaphorik des Sehens der Idee vgl. noch Resp. 511 a 1. 516 a 5.
517 c 1. 518 c 9f. 519 d 2.
47 Ebd. 526 e 3f. Theaet. 176 e 3.
48 Ebd. 175 cff.
49 1 76 b 2f.
50 Menexenus 246 e 7ff. Symp. 211 e 3.
51 Forschungen zum Neuplatonismus, Berlin 1966, 168.
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Schöne steht dort als Paradigma der Idee, des Seins also, das frei ist von
jeder Relativität, die ein partielles Nicht-Sein in es brächte; identisch
mit sich ist es nur es selbst, Grund jedoch der Teilhabe des „Anderen“
an ihm. Erreichbar ist es im methodisch strengen Durchgehen der „Stu-
fen“, d. h. der Wissens- und Seinsbereiche, die „vor“ ihm sind; Dialek-
tik als eine solche Vermittlung der Bereiche, bewegt vom Eros als dem
Impuls und der Kunst des Fragens und Wissen-Wollens, ist damit als die
Voraussetzung der Einsicht zu denken. Diese aber ereignet sich im
„Augenblick“: „plötzlich sieht der Geist ein seiner Natur nach wunder-
bares Schönes“ 43. Dieser Zustand des Lebens, in dem das Denken bei
dem Sein als dem eigentlichen Gegenstand des Wissens (αεί ον, δ έστι
καλόν) und des Wissenswerten anlangt44, ist für den Menschen, wenn
irgendeiner überhaupt, „lebenswert“, dies aber heißt: es ist glückliches
Leben, in dem er das „göttlich Schöne“, „das Schöne selbst“, „klar,
rein, unvermischt“ als Identisches und „Eingestaltiges“ sieht oder be-
trachtet45. Im Grunde gilt dies für das Erkennen der Idee überhaupt,
nicht nur der des Schönen46. Wenn das Gute selbst als das „Glücklichste
des Seins“ (τό εύδαιμονέστατον τού οντος) und das Göttliche über-
haupt als das „Glückseligste“ gedacht wird47, dann muß auch die An-
ähnlichung des Menschen an Gott48 als eine Einübung in das glückliche
Leben verstanden werden. Der Modus, in dem dies geschieht, ist nicht
reine Intellektualität, sondern eine von der Idee durchdrungene und be-
stimmte Praxis: δίκαιον καί όσιον μετά φρονήσεως γενέσθαι49. Er-
kenntnis in einem nicht nur formalen Sinn käme ohne diese Bedingung
nicht zustande oder sie destruierte sich selbst zu bloßem „Geschwätz“50,
c) Die Meinung Willy Theilers, „dem denkerischen Überschwang Plo-
tins liege (im Gegensatz zu Augustinus und Porphyrios) die Glückselig-
keitsproblematik fern“51, mag mit Gründen bezweifelt werden. Plotins
43 2 1 0 e 4ff. 211 e 1.
44 211 c 7. Im τελευτήσαι klingt der Mysterien-Terminus τελετή an.
45 211 a 2ff; b 1.
46 Daß ‘Erkennen’ mit ‘Sehen’ identisch gedacht ist, wird insbesondere durch das Son-
nengleichnis und Höhlengleichnis der ‘Politeia’ verdeutlicht, in denen die Idee des
Guten der höchste Gegenstand des Wissens ist, von dem her die übrigen Ideen sich
bestimmen. Zur Metaphorik des Sehens der Idee vgl. noch Resp. 511 a 1. 516 a 5.
517 c 1. 518 c 9f. 519 d 2.
47 Ebd. 526 e 3f. Theaet. 176 e 3.
48 Ebd. 175 cff.
49 1 76 b 2f.
50 Menexenus 246 e 7ff. Symp. 211 e 3.
51 Forschungen zum Neuplatonismus, Berlin 1966, 168.