Regio Beatitudinis
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den ist56. Der Grund oder Ursprung, von dem abhängend alles Seiende
nur ein Abbild seines Lebens ist, ist selbst „erstes und vollkommenstes
Leben.“ „Wenn also der Mensch vollkommenes Leben zu haben im-
stande ist, so ist auch der Mensch glücklich, wenn er dieses Leben
hat“57, „wenn die Seele vom Leben des Seins erfüllt ist“ 58. Weil Plotin
hier vom „Besten im Seienden“ spricht und das vollkommene Leben
„der denkenden Natur“59, d. h. dem zeit-freien Geist zuordnet, der pri-
mär ansonsten als wahres Leben (ή όντως ζωή60) durch Reflexion sei-
ner selbst bestimmt ist, weil ferner auch die Dimension des Intelligiblen
als ‘Prinzip’ (αρχή) zu verstehen ist, andererseits aber Plotin das Eine
als Quelle des Lebens nur mit Vorsicht selbst als Leben bezeichnet
(oiov ζωή61), ist in diesem Kontext nicht unmittelbar das Eine als Grund
des Glücks genannt. Der Gedanke steht vielmehr in der Wirkungsge-
schichte der aristotelischen Theologik, gemäß der die Wirklichkeit des
sich denkenden Geistes im höchsten Sinne Leben ist62. Die plotinische
Umformung der geläufigen Identifikation von „gut leben“ (εύ ζήν) und
Glücklich-Sein (εύδαιμονεϊν63) in das Leben gemäß dem Geist oder in
die λογική ζωή intendiert indes nicht eine Fixierung der nach innen sich
bewegenden Reflexion auf den ‘nus’. Im Rückgang des Denkens in sich
selbst übersteigt es sich vielmehr selbst in seinen eigenen Grund, das Ei-
ne, welches das eigentliche Telos ist: το αληθώς ζήν ενταύθα, „das
wahre Leben ist dort“64 - in jenem Zustand also, in dem der Mensch
durch die Transzendenzbewegung, durch die ihn „einfach“ machende
Selbstdurchlichtung des Denkens, Seher oder „Betrachter des Ur-
sprungs und des Einen“ (des Einen als Ursprungs) geworden ist: αρχής
καί ενός θεατής65. Letztlich ist also doch das „Sehen“ des Einen oder
das Eins-Werden mit ihm durch das Medium des Geist-Werdens hin-
durch die Bedingung eines geglückten, beseligenden Lebens, αρχής καί
ενός θεατής - darin formuliert Plotin die Spitze der Möglichkeit des
56 I 4, 3, 25ff.
57 Ebd. 3, 39f. 4, If.
’58 VI 7, 31, 32.
59 I 4, 3, 33f.
60 VI 7, 18, 21.
61 VI 8, 7, 51.
62 Met. 1072 b 26f: ή γάρ νοϋ ενέργεια ζωή.
63 I 4, 1, 1.
64 VI 9, 9, 15f.
65 VI 9, 3, 22. Dies als Grund des Glücks: ής (sc. τής άρίστης θέας) ό μέν τυχών μακά-
ριος οψιν μακαρίαν τεθεαμένος· (Plat. Phaedr. 250 b 6) ατυχής δε ούτος ό μή τυχών
(I 6, 7, 33f). - Zur weiteren Entfaltung dieses Gedankens bei Plotin vgl. unten S. 39.
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den ist56. Der Grund oder Ursprung, von dem abhängend alles Seiende
nur ein Abbild seines Lebens ist, ist selbst „erstes und vollkommenstes
Leben.“ „Wenn also der Mensch vollkommenes Leben zu haben im-
stande ist, so ist auch der Mensch glücklich, wenn er dieses Leben
hat“57, „wenn die Seele vom Leben des Seins erfüllt ist“ 58. Weil Plotin
hier vom „Besten im Seienden“ spricht und das vollkommene Leben
„der denkenden Natur“59, d. h. dem zeit-freien Geist zuordnet, der pri-
mär ansonsten als wahres Leben (ή όντως ζωή60) durch Reflexion sei-
ner selbst bestimmt ist, weil ferner auch die Dimension des Intelligiblen
als ‘Prinzip’ (αρχή) zu verstehen ist, andererseits aber Plotin das Eine
als Quelle des Lebens nur mit Vorsicht selbst als Leben bezeichnet
(oiov ζωή61), ist in diesem Kontext nicht unmittelbar das Eine als Grund
des Glücks genannt. Der Gedanke steht vielmehr in der Wirkungsge-
schichte der aristotelischen Theologik, gemäß der die Wirklichkeit des
sich denkenden Geistes im höchsten Sinne Leben ist62. Die plotinische
Umformung der geläufigen Identifikation von „gut leben“ (εύ ζήν) und
Glücklich-Sein (εύδαιμονεϊν63) in das Leben gemäß dem Geist oder in
die λογική ζωή intendiert indes nicht eine Fixierung der nach innen sich
bewegenden Reflexion auf den ‘nus’. Im Rückgang des Denkens in sich
selbst übersteigt es sich vielmehr selbst in seinen eigenen Grund, das Ei-
ne, welches das eigentliche Telos ist: το αληθώς ζήν ενταύθα, „das
wahre Leben ist dort“64 - in jenem Zustand also, in dem der Mensch
durch die Transzendenzbewegung, durch die ihn „einfach“ machende
Selbstdurchlichtung des Denkens, Seher oder „Betrachter des Ur-
sprungs und des Einen“ (des Einen als Ursprungs) geworden ist: αρχής
καί ενός θεατής65. Letztlich ist also doch das „Sehen“ des Einen oder
das Eins-Werden mit ihm durch das Medium des Geist-Werdens hin-
durch die Bedingung eines geglückten, beseligenden Lebens, αρχής καί
ενός θεατής - darin formuliert Plotin die Spitze der Möglichkeit des
56 I 4, 3, 25ff.
57 Ebd. 3, 39f. 4, If.
’58 VI 7, 31, 32.
59 I 4, 3, 33f.
60 VI 7, 18, 21.
61 VI 8, 7, 51.
62 Met. 1072 b 26f: ή γάρ νοϋ ενέργεια ζωή.
63 I 4, 1, 1.
64 VI 9, 9, 15f.
65 VI 9, 3, 22. Dies als Grund des Glücks: ής (sc. τής άρίστης θέας) ό μέν τυχών μακά-
ριος οψιν μακαρίαν τεθεαμένος· (Plat. Phaedr. 250 b 6) ατυχής δε ούτος ό μή τυχών
(I 6, 7, 33f). - Zur weiteren Entfaltung dieses Gedankens bei Plotin vgl. unten S. 39.