Metadaten

Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 6. Abhandlung): Regio Beatitudinis: zu Augustins Begriff des glücklichen Lebens; vorgelegt am 24. Januar 1981 — Heidelberg: Winter, 1981

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47799#0024
Lizenz: In Copyright
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
22

Werner Beierwaltes

(ratiö) bestimmt ist. Gemeinsam mit der philosophischen Konzeption
ist Augustins Frage nach dem glücklichen Leben, daß sie eine Grund-
frage seines Denkens ist. Gemeinsam ist beiden auch der Modus der
Verwirklichung glücklichen Lebens: daß es im Erkennen, Wissen, Se-
hen, Betrachten und Lieben erreicht und behalten wird - in der θεωρία
also, die sich nicht in sich isoliert, sondern zum Maß vernünftigen, der
religio entsprechenden Handelns wird (analog der theorie-geleiteten
virius). Gemeinsam ist ihnen weiterhin die Orientierung der vita beata
an einem unveränderlichen, zeitfreien Sein, das mit Idee, Wahrheit
schlechthin, Weisheit oder Gott identisch gedacht wird. Dem entspricht
die gemeinsam angenommene, freilich inhaltlich zu unterschiedenen
Zielen führende ontologische Voraussetzung, gemäß der der Mensch in
Zeit mit der ihm transzendenten Idee, Wahrheit, Weisheit oder Gott
verbunden ist; seine Aufgabe ist es, sich dieser Voraussetzung durch re-
ditio in se ipsum und transcensus sui ipsius bewußt zu werden. Die
Funktion des neuplatonischen Einen oder des Geistes in uns nimmt Au-
gustinus in dem Gedanken des homo interior auf, der aus einer apriori-
schen Verfaßtheit heraus einen Erweis in-sich-seienden göttlichen Seins
zu erbringen imstande ist. Mit dem philosophischen Weg zur beatitudo
bleibt Augustinus nicht zuletzt auch darin verbunden, daß er die Un-
sterblichkeit für die Voraussetzung glücklichen Lebens hält - gemäß
der christlichen Lehre für Unsterblichkeit freilich nicht nur der Seele,
sondern auch des Leibes.
Neben den schon angedeuteten Differenzen Augustins zur Philoso-
phie ist vor allem diese grundlegend: entscheidend verwandelt werden
die philosophische Konzeption von Glück und der Modus, zu ihm zu ge-
langen, dadurch, daß sie in allen ihren Elementen von der Inkarnation
Christi bestimmt sind. Damit bekommt auch der Begriff von Idee,
Wahrheit, Weisheit und Sehen eine andere Valenz, allerdings ohne sich
von philosophischen Implikationen und Voraussetzungen der Sache
nach völlig befreien zu können. In einer Analyse der philosophischen
Voraussetzungen des augustinischen Denkens kann deshalb von zahl-
reichen Aspekten her gezeigt werden, daß Augustins Formulierung der
Andersheit seines eigenen Ansatzes nicht durchweg dem gedachten
Sachverhalt entspricht. Der Haupteinwand, durch den Augustinus seine
Differenz zu den Philosophen markiert, trifft deren ‘superbia'. In ihr be-
fangen „machen sie, wie es einem jeden beliebt, ihre glücklichen Le-
ben“, als ob sie dies „von sich selbst her“ (a seipsis) oder aus „eigener
Kraft“ (propria vir tute) zu leisten vermöchten73. Der imputierten
73 Trin. XIII 7, 10. Civ. Dei XIX 4.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften