Metadaten

Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 6. Abhandlung): Regio Beatitudinis: zu Augustins Begriff des glücklichen Lebens; vorgelegt am 24. Januar 1981 — Heidelberg: Winter, 1981

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47799#0038
License: In Copyright
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
36

Werner Beierwaltes

In der denkenden Übereinkunft mit der höchsten Selbstübereinkunft
(Wahrheit) gelangt das Denken zu dem, „was ist“ „im Augenblick eines
zitternden Gesichts“126. Das Erreichen dessen was ist, — im Rückgang
des Denkens in sich selbst — erweitert also die Identifikationsreihe von
veritas — aetemitas - caritas127 durch das „Sein selbst“. „Das, was ist“,
kann nämlich nur als eben dieses absolute, reine, unveränderlich es
selbst seiende Sein verstanden werden, das sich in der Selbstaussage
zeigt: „Ich bin der ich bin.“ Dies aber, das „Sein selbst“, ist das Gewis-
seste, so daß Augustinus eher sagen möchte, es bestehe vielleicht mehr
Anlaß zu zweifeln, daß er lebe, als daß nicht die Wahrheit sei, die durch
das, was geschaffen ist, als eingesehene erblickt wird128. Diese Über-
zeugung besteht selbst dann, wenn sich der Denkende eingestehen muß,
daß er nach dem unmittelbaren Ereignis eben dieser Einsicht aufgrund
eigener Schwäche wieder in die ihm gewohnte Situation von Bild,
Schatten und Rätsel zurückgeworfen wird, daß ihm aber die „liebende
Erinnerung“129 oder der aus dieser Einsicht resultierende Impuls bleibt,
sie für sein Sein, Erkennen und Handeln als konstitutiv festzuhalten. Sie
ist sozusagen der Vorblick des in Hoffnung Glücklichen auf das kom-
mende Glück: den dauernden Besitz der absoluten Wahrheit im Sehen.
Das vorläufige Glück also besteht in der Abstraktion vom Vielen130,
Sinnlichen, Zeitlichen, Zerstreuenden, in der Hinwendung in das Inne-
re des Denkens - in die es begründende Einheit und Wahrheit - und
eben dadurch in der Intensivierung des eigenen Seins, indem dieses sich
von dem mit der Wahrheit identischen Geiste bestimmen läßt. Darin
gerade besteht seine Freiheit, daß er sich dem „Sein selbst“ und der
höchsten Sinngestalt öffnet: „Haec est libertas nostra, cum isti subdimur
veritati“131. Dies ist das höchste Maß des „hier“ schon zu erreichenden
Glücks.
Die Frage, wie kann ich suchen,was ich „noch nicht“ - zumindest
noch nicht aus Erfahrung — kenne, tritt in zweifacher Form auf: in der
Frage nach dem Glück ebenso wie in der Frage nach Gott, da beide we-
126 Conf. VII 17,23: pervenit ad id, quod est, in ictu trepidantis aspectus.
127 Conf. VII 10,16: qui novit veritatem, novit eam (seil, lucem incommutabilem) et qui
novit eam, novit aetemitatem. Caritas novit eam. O aetema veritas et vera caritas et
cara aeternitas!
128 Conf. VII 10,16 s. f.
129 Ebd. 17,23 s. f.
130 Sermo 96, 6, 6: a multis curre ad unum, dispersa collige in unum: conflue, munitus
esto, mane apud unum; noli ire in multa. Ibi est beatitudo. Ver. rel. 55, 113.
131 Lib. arb. II 13, 37.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften