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Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 6. Abhandlung): Regio Beatitudinis: zu Augustins Begriff des glücklichen Lebens; vorgelegt am 24. Januar 1981 — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47799#0044
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Werner Beierwaltes

(Erkennen als begreifender Akt des Geistes) - amor durchdringen sich
als je einzelne zu einer unvermischten, aber auch unlösbaren Einheit157.
Amor ist sowohl für den Selbstbezug des Geistes, als auch für dessen
Impuls über sich hinaus, für seine Transzendenz-Bewegung konstitutiv.
Die Liebe aber bleibt ein Erkennen: höchste Form der Einheit von
Denken und Emotion als ‘philosophia cordis’. — Glück als erkennendes
oder sehendes Lieben und liebendes Sehen oder Erkennen kommt ei-
nem „Genießen“ des höchsten Gutes oder Gottes (frui deo) gleich:
„Beatus est quippe qui fruitur summo bono (sive deo)“158. Im Gegen-
satz zum Gebrauchen (uti), d. h. zum gebrauchenden Ausnützen einer
Sache oder der Absicht, etwas um eines anderen (eines zu erreichenden
Zieles willen) in Funktion zu nehmen, meint „Genießen“ einen auf den
Gegenstand selbst bezogenen Besitz, oder: „in Liebe einer Sache um ih-
rer selbst willen anhangen“, „gegenwärtig zu haben, was man liebt“159.
Das Wort „genießen“ oder „Genuß“ hat gegenwärtig einen durchaus
hedonistischen Klang, suggeriert das bloß passive Konsumieren dessen,
was um seiner selbst willen der Anstrengung und Schärfe des Begriffs
bedürfte, die nicht der Freudlosigkeit verfiele. Derartiger Genuß ist
eher Mißbrauch160. „Genießen“ im Sinne Augustins beschreibt dagegen
- gerade in Bezug auf die vita beata - höchste geistige Intensität, die den
höchsten Gegenstand des Erkennens, Sehens, Liebens in sich auf-
nimmt, wie er ist, sicuti est, als das höchste Sein und zugleich als die
höchste Selbsterfüllung des Menschen.
5. Die Analyse der Modi, in denen der Mensch im Sinne Augustins
zum glücklichen Leben gelangt und es vielleicht auch behält, explizieren
allesamt den Gedanken: von seinem Grund her ist glückliches Leben ei-
ne Form höchster geistiger und emotionaler Intensität - eben des Se-
hens, Erkennens und Liebens. Emotion aber ist hier immer als eine von
Geist durchdrungene gedacht. Daß nicht irgendeine Erkenntnis, die
vielleicht als sogenannt „geglückte“ das Wissen erweitert, sondern Er-
kenntnis als das erkennende Sehen des universalen, den Bereich des
Seins und des Wißbaren bestimmenden Grundes ein Leben bewirkt, das
die Bezeichnung „glücklich“ oder „geglückt“ verdiente, diese Konzep-
tion unterscheidet sich wesentlich von bestimmten neuzeitlichen und
157 Trin. IX 4,7.
158 Lib. arb. II 13,36. 35 (Text Anm. 144). Beata vita 34. Mor. Eccl. I 3,4. 19,35. Ord. I
8,24. Doct. Christ. I 22,20.
159 Doct. Christ. I 4,4: frui est enim amore inhaerere alicui rei propter se ipsam. Mor.
Eccl. I 3,4. Vgl. Plot. I 6,7,27: άπολαύειν (seil, αυτού τού καλού).
160 Zur perversio von uti und frui: Div. quaest. LXXXIII 30.
 
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