Regio Beatitudinis
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gegenwärtigen Vorstellungen und Formeln vom Glück, die von Wahr-
heits-Erkenntnis im beschriebenen Sinne grundsätzlich getrennt sind:
Glück als bloßes Gefühl, als Bestimmtheit des Selbstgenusses, als senti-
mentales Wohlbefinden, als bornierte Saturiertheit durch Konsum, die
sich nicht altruistisch aufbrechen lassen will, Reduktion der Wirklich-
keit auf eine gegen Einsprüche abgedichtete ‘brave new world’, in der
„they get what they want, and they never want what they can’t get“161;
das Glück wird als System verordnet. Obgleich Augustins Begriff des
Glücks nicht egozentrisch beschränkt ist - die Liebe zu Gott nämlich
kann nicht ohne die zum Nächsten sein162, so daß das Streben des Ein-
zelnen nach Glück auch dessen Verbundenheit zum Anderen hin be-
gründen und steigern muß — ist er gleichwohl nicht mit den utopischen
Gesellschaftsentwürfen kompatibel, die das Glück Aller in der Zukunft
versprechen. Freilich entzieht er sich nicht der sozialen Verantwortung,
schon ‘in dieser Zeit’ die Menschlichkeit, d. h. das Bewußtsein der Be-
stimmung des Menschen durch ein der Geschichte transzendentes Ziel
entschieden zu befördern163.
Sofern man den augustinischen und mit ihm den griechischen Begriff
von glücklichem Leben nicht leichtfertig als „kontemplativ“ verdrängt
oder gar ächtet, könnte eine Analyse dieser Gedanken-Dimension viel-
leicht Anstoß zu einiger Besinnung geben. Freilich ist dies im Blick auf
das Glück wohl nicht möglich in einer Philosophie ohne Normen und
Prinzipien, die von ihnen selbst her nicht notwendig Freiheit-bedrän-
gende Praeskriptionen sein oder ideologisch repressiv wirken müssen.
Gegen die allzu gängige Desavouierung des „Begriffs“, d. h. des begriff-
lichen, rationalen Denkens, als des Schuldners eines als zweckrational
durchplanten, aber nichtsdestoweniger undurchsichtigen Gesellschafts-
systems hätte Philosophie wieder den Gedanken zu favorisieren, daß
für die glücklose Verstrickung einer Zeit einzig begreifendes, argumen-
tativ und begründend verantwortetes Denken - wenn überhaupt - ein
Rettendes sein kann. Nicht allerdings ein Denken, das zwar begreifend
verfährt, aber im formalen oder formalistischen Verfahren hängen
bleibt, auch nicht der ideologische Octroi, der allzu genau und ohne
kritische Toleranz weiß, was wahr ist, ein Begriff vielmehr, der in inten-
siver Anstrengung und Selbstkritik auf die Sache oder die Wahrheit der
161 In der Konsequenz: eine radikale und ruinöse Restriktion von Geist und Emotion
(vgl. A. Huxley, Brave New World, 1932).
162 Vgl. z. B. Trin. VIII 8,12. Ev. Joh. 65,2.
163 Dies evident zu machen ist eines der Ziele von Augustins geschichtsphilosophischer
und -theologischer Schrift ‘De civitate Dei’.
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gegenwärtigen Vorstellungen und Formeln vom Glück, die von Wahr-
heits-Erkenntnis im beschriebenen Sinne grundsätzlich getrennt sind:
Glück als bloßes Gefühl, als Bestimmtheit des Selbstgenusses, als senti-
mentales Wohlbefinden, als bornierte Saturiertheit durch Konsum, die
sich nicht altruistisch aufbrechen lassen will, Reduktion der Wirklich-
keit auf eine gegen Einsprüche abgedichtete ‘brave new world’, in der
„they get what they want, and they never want what they can’t get“161;
das Glück wird als System verordnet. Obgleich Augustins Begriff des
Glücks nicht egozentrisch beschränkt ist - die Liebe zu Gott nämlich
kann nicht ohne die zum Nächsten sein162, so daß das Streben des Ein-
zelnen nach Glück auch dessen Verbundenheit zum Anderen hin be-
gründen und steigern muß — ist er gleichwohl nicht mit den utopischen
Gesellschaftsentwürfen kompatibel, die das Glück Aller in der Zukunft
versprechen. Freilich entzieht er sich nicht der sozialen Verantwortung,
schon ‘in dieser Zeit’ die Menschlichkeit, d. h. das Bewußtsein der Be-
stimmung des Menschen durch ein der Geschichte transzendentes Ziel
entschieden zu befördern163.
Sofern man den augustinischen und mit ihm den griechischen Begriff
von glücklichem Leben nicht leichtfertig als „kontemplativ“ verdrängt
oder gar ächtet, könnte eine Analyse dieser Gedanken-Dimension viel-
leicht Anstoß zu einiger Besinnung geben. Freilich ist dies im Blick auf
das Glück wohl nicht möglich in einer Philosophie ohne Normen und
Prinzipien, die von ihnen selbst her nicht notwendig Freiheit-bedrän-
gende Praeskriptionen sein oder ideologisch repressiv wirken müssen.
Gegen die allzu gängige Desavouierung des „Begriffs“, d. h. des begriff-
lichen, rationalen Denkens, als des Schuldners eines als zweckrational
durchplanten, aber nichtsdestoweniger undurchsichtigen Gesellschafts-
systems hätte Philosophie wieder den Gedanken zu favorisieren, daß
für die glücklose Verstrickung einer Zeit einzig begreifendes, argumen-
tativ und begründend verantwortetes Denken - wenn überhaupt - ein
Rettendes sein kann. Nicht allerdings ein Denken, das zwar begreifend
verfährt, aber im formalen oder formalistischen Verfahren hängen
bleibt, auch nicht der ideologische Octroi, der allzu genau und ohne
kritische Toleranz weiß, was wahr ist, ein Begriff vielmehr, der in inten-
siver Anstrengung und Selbstkritik auf die Sache oder die Wahrheit der
161 In der Konsequenz: eine radikale und ruinöse Restriktion von Geist und Emotion
(vgl. A. Huxley, Brave New World, 1932).
162 Vgl. z. B. Trin. VIII 8,12. Ev. Joh. 65,2.
163 Dies evident zu machen ist eines der Ziele von Augustins geschichtsphilosophischer
und -theologischer Schrift ‘De civitate Dei’.