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Werner Beierwaltes
Sache gerichtet ist und diese auch in einem dialektischen Prozeß zum
Richtmaß für Denken und Praxis nimmt. Wenn aus der Geschichte des
Denkens etwas zu lernen sein sollte, dann also allem voran dies: daß an-
gesichts leidvoller geschichtlicher Erfahrungen weder ein bedingungslos
wissenschaftsgläubiger Denkhabitus oder ein geradezu naiver Optimis-
mus des Aufklärens, noch eine in diffusen Irrationalismus sich entzie-
hende Re-Mythisierung des Bewußtseins Glück verheißen und bringen
kann, sondern eher ein verantwortbares Denken, das sich selbst und der
aus ihm sich ergebenden Praxis einen Spielraum läßt, mit Emotion und
produktiver Phantasie auf gutem Fuße steht. Die Wahrheit der Sache,
von der die Rede war, - man nenne sie Sein, Grund, Idee oder Vernunft
- müßte zumindest in - wenn auch nur ferner - Analogie etwas von der-
jenigen Verbindlichkeit besitzen, wie sie das Prinzip der ‘theoria’ oder
die ‘regio beatitudinis’ für griechisches oder christliches Denken einmal
hatte. Die nicht nur historische Erinnerung an eine tragfähige Sache,
die auf der Suche nach Korrektur und Impulsen für die Gegenwart ge-
übt wird, ist schwerlich als „reaktionär“ oder unkritisch abzuschieben,
es sei denn, man hegt die Befürchtung, schon eine in sich sinnvolle Kon-
zeption der Vergangenheit müsse für die eigenen Absichten irritierend
wirken. Vielleicht würde dann auch evident, daß Glück nicht an irgend-
welchen Subjektivismen oder an im Grunde auswechselbaren Stimmun-
gen und Gefühlen hängen kann, auch nicht an einer „Wahrheit“, die
sich selbst total in geschichtlichen Relativismus auflöst, sondern eher in
der Erkenntnis eines Gedankens gründet, der sich als verbindlicher und
maß-gebender trotz seiner geschichtlichen Transformationen durchhält
und erweist164.
164 Einer eigenen Überlegung bedürfte es, den Unterschied einsichtig zu machen, in wel-
chem Maße die griechische und augustinische Konzeption von Glück als einem sehen-
den Erkennen und ‘Genießen’ in Gegensatz steht zu einer eudämonistischen und uti-
litaristischen Lust- oder Zweck-Ethik, wie sie etwa die neuzeitliche Aufklärung weit-
hin und anhaltend bestimmt hat. Der common sense scheint davon schwerlich abzu-
bringen zu sein. Das gegenwärtig allgemein beförderte Konsum-Denken wirkt auf ei-
ne derartige Haltung nur stimulierend, das dadurch wachsende Debakel der Selbstbe-
fangenheit des Menschen aber verdeckt es beflissen.
Werner Beierwaltes
Sache gerichtet ist und diese auch in einem dialektischen Prozeß zum
Richtmaß für Denken und Praxis nimmt. Wenn aus der Geschichte des
Denkens etwas zu lernen sein sollte, dann also allem voran dies: daß an-
gesichts leidvoller geschichtlicher Erfahrungen weder ein bedingungslos
wissenschaftsgläubiger Denkhabitus oder ein geradezu naiver Optimis-
mus des Aufklärens, noch eine in diffusen Irrationalismus sich entzie-
hende Re-Mythisierung des Bewußtseins Glück verheißen und bringen
kann, sondern eher ein verantwortbares Denken, das sich selbst und der
aus ihm sich ergebenden Praxis einen Spielraum läßt, mit Emotion und
produktiver Phantasie auf gutem Fuße steht. Die Wahrheit der Sache,
von der die Rede war, - man nenne sie Sein, Grund, Idee oder Vernunft
- müßte zumindest in - wenn auch nur ferner - Analogie etwas von der-
jenigen Verbindlichkeit besitzen, wie sie das Prinzip der ‘theoria’ oder
die ‘regio beatitudinis’ für griechisches oder christliches Denken einmal
hatte. Die nicht nur historische Erinnerung an eine tragfähige Sache,
die auf der Suche nach Korrektur und Impulsen für die Gegenwart ge-
übt wird, ist schwerlich als „reaktionär“ oder unkritisch abzuschieben,
es sei denn, man hegt die Befürchtung, schon eine in sich sinnvolle Kon-
zeption der Vergangenheit müsse für die eigenen Absichten irritierend
wirken. Vielleicht würde dann auch evident, daß Glück nicht an irgend-
welchen Subjektivismen oder an im Grunde auswechselbaren Stimmun-
gen und Gefühlen hängen kann, auch nicht an einer „Wahrheit“, die
sich selbst total in geschichtlichen Relativismus auflöst, sondern eher in
der Erkenntnis eines Gedankens gründet, der sich als verbindlicher und
maß-gebender trotz seiner geschichtlichen Transformationen durchhält
und erweist164.
164 Einer eigenen Überlegung bedürfte es, den Unterschied einsichtig zu machen, in wel-
chem Maße die griechische und augustinische Konzeption von Glück als einem sehen-
den Erkennen und ‘Genießen’ in Gegensatz steht zu einer eudämonistischen und uti-
litaristischen Lust- oder Zweck-Ethik, wie sie etwa die neuzeitliche Aufklärung weit-
hin und anhaltend bestimmt hat. Der common sense scheint davon schwerlich abzu-
bringen zu sein. Das gegenwärtig allgemein beförderte Konsum-Denken wirkt auf ei-
ne derartige Haltung nur stimulierend, das dadurch wachsende Debakel der Selbstbe-
fangenheit des Menschen aber verdeckt es beflissen.