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Tilemann Grimm
und das historisch Gebrochene der übernommenen Tradition verdeutli-
chen sollen, folgen insgesamt drei Anmerkungen. Die erste will in der
Form von Analogien nicht direkt kritisch, sondern indirekt analogisch
von Denkansätzen reden, die dem abendländischen Verständnis nahe-
zukommen scheinen, sei es als Parallele, sei es als Kontrast. In einer
zweiten Anmerkung will ich versuchen, ein Denken nachzuzeichnen,
wie es sich in China aus seiner ihm eigenen Kulturtradition heraus ge-
bildet hat, ich meine den Neo-Konfuzianismus, wobei von der Sprache
auszugehen ist. Und in einer dritten Anmerkung ist Bezug zu nehmen
auf Elemente einer neuen Philosophie im Welthorizont.
I. Die erste Anmerkung
Es ist oft behauptet worden, daß so grundlegende Bestandteile des
Denkens wie Logik, Ontologie, Metaphysik in Ostasien unentwickelt
geblieben seien, während vor allem Ethik und Ästhetik, also Bereiche
eher der praktischen bzw. der sog. Bindestrich-Philosophien, demge-
genüber das Feld behauptet hätten. Richtig ist daran so viel, daß Wert-
setzungen und ein Engagement für das Schöne den ostasiatischen Kul-
turhorizont in der Tat stärker geprägt zu haben scheinen als andere Be-
mühungen des menschlichen Denkens wie z. B. das mathematische
oder das juristische. Abgesehen davon, wie weit wir mit einer solchen
Annahme der Richtigkeit solchen Befundes kommen, ist doch gewiß,
daß es neben dem reflektierenden Bewußtsein die tieferen Schichten
der Psyche gewesen sind, die beteiligt waren an einem vielleicht besser
philosophisch-religiös zu nennenden Bemühen um Erhellung und um
Einpassung in die Welt. Wenn ein japanischer Dichter sagen kann: „Ein
buntes Herbstlaub bestaunendes Kind - ist Buddha“, oder wenn die
chinesischen Tuschemaler sich gerne „Menschen des Tao“ nannten, um
damit ihr Einssein mit Bild und Abbild zu kennzeichnen, wenn ferner
chinesische Baumeister geomantische Spekulationen in eine harmoni-
sche Bebauung des ausgewählten Geländes einbringen — so sind dies
Formen eines ästhetischen Weltverhaltens, wie es uns nicht alltäglich
ist. Das gilt für Japan in noch deutlicherer Weise, wo Züge eines Ästhe-
tizismus hervorscheinen.
Dies leitet hinüber zu ethischen Wertsetzungen. Der gesamte Bereich
der Etikette — Marcel Granet hat hierzu ein schönes Kapitel geschrie-
ben, in: Das chinesische Denken, Piper 1963 - hat ebenso eine ethische
wie ästhetische und lebensbezogene Komponente. Ich meine, daß auch
Tilemann Grimm
und das historisch Gebrochene der übernommenen Tradition verdeutli-
chen sollen, folgen insgesamt drei Anmerkungen. Die erste will in der
Form von Analogien nicht direkt kritisch, sondern indirekt analogisch
von Denkansätzen reden, die dem abendländischen Verständnis nahe-
zukommen scheinen, sei es als Parallele, sei es als Kontrast. In einer
zweiten Anmerkung will ich versuchen, ein Denken nachzuzeichnen,
wie es sich in China aus seiner ihm eigenen Kulturtradition heraus ge-
bildet hat, ich meine den Neo-Konfuzianismus, wobei von der Sprache
auszugehen ist. Und in einer dritten Anmerkung ist Bezug zu nehmen
auf Elemente einer neuen Philosophie im Welthorizont.
I. Die erste Anmerkung
Es ist oft behauptet worden, daß so grundlegende Bestandteile des
Denkens wie Logik, Ontologie, Metaphysik in Ostasien unentwickelt
geblieben seien, während vor allem Ethik und Ästhetik, also Bereiche
eher der praktischen bzw. der sog. Bindestrich-Philosophien, demge-
genüber das Feld behauptet hätten. Richtig ist daran so viel, daß Wert-
setzungen und ein Engagement für das Schöne den ostasiatischen Kul-
turhorizont in der Tat stärker geprägt zu haben scheinen als andere Be-
mühungen des menschlichen Denkens wie z. B. das mathematische
oder das juristische. Abgesehen davon, wie weit wir mit einer solchen
Annahme der Richtigkeit solchen Befundes kommen, ist doch gewiß,
daß es neben dem reflektierenden Bewußtsein die tieferen Schichten
der Psyche gewesen sind, die beteiligt waren an einem vielleicht besser
philosophisch-religiös zu nennenden Bemühen um Erhellung und um
Einpassung in die Welt. Wenn ein japanischer Dichter sagen kann: „Ein
buntes Herbstlaub bestaunendes Kind - ist Buddha“, oder wenn die
chinesischen Tuschemaler sich gerne „Menschen des Tao“ nannten, um
damit ihr Einssein mit Bild und Abbild zu kennzeichnen, wenn ferner
chinesische Baumeister geomantische Spekulationen in eine harmoni-
sche Bebauung des ausgewählten Geländes einbringen — so sind dies
Formen eines ästhetischen Weltverhaltens, wie es uns nicht alltäglich
ist. Das gilt für Japan in noch deutlicherer Weise, wo Züge eines Ästhe-
tizismus hervorscheinen.
Dies leitet hinüber zu ethischen Wertsetzungen. Der gesamte Bereich
der Etikette — Marcel Granet hat hierzu ein schönes Kapitel geschrie-
ben, in: Das chinesische Denken, Piper 1963 - hat ebenso eine ethische
wie ästhetische und lebensbezogene Komponente. Ich meine, daß auch