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Grimm, Tilemann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 7. Abhandlung): Sinologische Anmerkungen zum europäischen Philosophiebegriff — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47800#0012
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Tilemann Grimm

batte, die landauf landab geführt wurde, es war ihnen also darum zu
tun, eine gewisse Klassifizierung von Möglichkeiten des Argumentie-
rens zu erreichen, man unterschied dafür Namen von den damit ge-
meinten Dingen und deren Übereinstimmung, sowie daraus sich erge-
bende Möglichkeiten sozialen und politischen Handelns. Dies letztere
hat freilich mit dem Erkenntnisvorgang nichts mehr zu tun, und das ist
signifikant. Außerdem wurde man sich klar darüber, daß es drei For-
men der Wissensaneignung gebe, durch Hörensagen, durch Analogie-
schluß, und durch persönliche Erfahrung, um damit eine bessere Argu-
mentationsbasis zu gewinnen. Hinzu kommen sophistische Spielereien
wie etwa, daß ein weißes Pferd kein Pferd mehr sei, oder daß der Pfeil
im Fluge weder bewegt sei noch in Ruhe, oder daß ein Fußmaß nach
vielen Halbierungen immer noch ein Maß sei, auch wenn es über unge-
zählte Generationen weiter halbiert würde, oder Eins sei weniger als
Zwei, aber mehr als Fünf, offenbar weil man die Eins für eine neue Ein-
heit setzte, u. a. m. In diesen quasi-erkenntnis-theoretischen Fragmen-
ten findet sich aber auch eine präzise Beschreibung des Erkenntnisvor-
gangs: „Das Weiße wird vom Auge wahrgenommen, aber das Auge
sieht nur vermittels des Lichtes, Licht aber hat keine Sehfähigkeit, so
können weder das Auge noch das Licht von sich aus das Weiße erken-
nen, es muß also das Bewußtsein sein, welches wahrnimmt, da aber das
Bewußtsein für sich selber auch nicht sehen kann, muß die Wahrneh-
mung des Weißen von dem Weißen selbst verschieden sein“ (Gong-sun
Long)6.
Zhuangzi, der bedeutendste Autor der taoistischen Schule, lenkte
den Blick wieder zurück auf die Einheit des Wissens mit dem Wissen-
den, auf das beide umfassende Licht einer mystischen Erkenntnis der
ständigen Wandlung der Dinge, die ihren Erkenntniswert nur in der
Einheit des Tao haben konnten, des allumfassenden Weges, worin auch
die Vorstellung vom Sein der Dinge enthalten war7. Und der konfuzia-
nische Rationalist Xünzi (im 3. Jh. v. Chr.) suchte die Kategorien des
Erkennbaren und deren Ordnung in einer Hierarchie der Wörter und
der Werte zu erfassen. Ihn interessierte nicht länger das Problemhafte
des Erkennens, ihm ging es um den sozialen Wert und dessen Anerken-
nung in der Gesellschaft, die Wahrheitsfrage wurde ihm zur Frage nach
der gesellschaftlichen und der politischen Angemessenheit, was eine
6 Gong-sun Longzi, s. Mei Yi-pao. tr., in Harvard Journal of Asiatic Studies, 1953 (16).
7 Zhuangzi Kap. 2 (Qi-wu-lun), s. a. R. Wilhelm, Das Buch vom südlichen Blütenland,
Jena 1920.
 
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