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Tilemann Grimm
finiten Aussagesatz nicht zwingend. Die Frage legt sich nahe, ob im
Chinesischen der Satzgegenstand nicht nur den Charakter einer Beifü-
gung hat: ein Prädikat mit Subjektbezug, Satzgegenstand und Attribut
auf gleichrangiger Ebene? Hier wäre noch scharfe analytische Arbeit
vonnöten. Ein oft bemerktes Kennzeichen chinesischer Wortdefinition
ist das Operieren mit Gegensatzbegriffen, man kann auch von Pendant-
begriffen reden, sie zeigen in ihrer Gegensätzlichkeit das Gemeinsame,
sie bilden mitunter neue Begriffe: „Berg und Wasser“ als „Landschaft“,
„groß ulid klein“ als „Größe“, „Format“, „gehen und stehen“ als „Ver-
halten“ u. a. Aus der Verknüpfung des Gegensätzlichen läßt sich viel-
leicht ein Ansatz zum dialektischen Denken ableiten, dem jedoch nicht
der Gedanke der Fortentwicklung innewohnte, dies erst unter dem Ein-
fluß westlichen Denkens (Hegel, Marx), sondern welches eher über ein
polares und dann gegenseitig sich bedingendes Seinsverständnis die
Vorstellung einer unbegrenzten Austauschbarkeit und der darin be-
schlossenen Wandlungsfähigkeit aller Dinge zum Ausdruck brächte,
man könnte von einer immanenten Sprach-Dynamik sprechen.
Der Aussageeffekt mag zunächst einer konjungierenden Satzfügung
nahestehen: „schön und - dreist“, „rasch und - behutsam“, erst in der
Verknüpfung von Verben kommt der quasi-dialektische Gedanke zum
Zuge: „regieren und dabei behutsam sein“ werden mithilfe des Funk-
tionswortes er („und dabei“) zu zwei sich ergänzenden und doch auch
gegensätzlichen Formen politischen Verhaltens: der Regierung wird die
Behutsamkeit immanent, diese wird zum Ausdruck von Regierung. Das
Funktionswort er ist ein Verknüpfungswort, die beiden so verknüpften
Wörter verbaler Funktion werden nicht additiv, sondern integral ver-
standen.
Die wichtigsten Aussageformen sind selbstverständlich entwickelt,
neben Frage-, Aussage- und Bestimmungssätzen das Bedingungs-, das
Kausal-, das Konzessiv- und das Instrumentalverhältnis, wobei es wie-
der interessant ist, festzuhalten, daß Verknüpfung (s. o.) zugleich Ent-
gegensetzung sein kann, und daß Instrumental und Kausal, daß Kausal
und Final ineinander übergehen können. Hierfür ist ein anderes Funk-
tionswort von zentraler Wichtigkeit, nämlich das Wort ui mit der ur-
sprünglich verbalen Bedeutung „nehmen“, daraus können Instrumen-
tal, Kausal und Final in gleicher Weise gebildet werden. Ich will das
jetzt aber nicht mit weiteren Beispielen zu sehr belasten.
Aber noch ein Wort zur Begriffsfixierung. Ich sprach von Komplex-
begriffen, das soll heißen, nicht die Trennschärfe der Begrifflichkeit ist
das Ziel denkerischen Bemühens, das ist bei der unflektierten Mono-
Tilemann Grimm
finiten Aussagesatz nicht zwingend. Die Frage legt sich nahe, ob im
Chinesischen der Satzgegenstand nicht nur den Charakter einer Beifü-
gung hat: ein Prädikat mit Subjektbezug, Satzgegenstand und Attribut
auf gleichrangiger Ebene? Hier wäre noch scharfe analytische Arbeit
vonnöten. Ein oft bemerktes Kennzeichen chinesischer Wortdefinition
ist das Operieren mit Gegensatzbegriffen, man kann auch von Pendant-
begriffen reden, sie zeigen in ihrer Gegensätzlichkeit das Gemeinsame,
sie bilden mitunter neue Begriffe: „Berg und Wasser“ als „Landschaft“,
„groß ulid klein“ als „Größe“, „Format“, „gehen und stehen“ als „Ver-
halten“ u. a. Aus der Verknüpfung des Gegensätzlichen läßt sich viel-
leicht ein Ansatz zum dialektischen Denken ableiten, dem jedoch nicht
der Gedanke der Fortentwicklung innewohnte, dies erst unter dem Ein-
fluß westlichen Denkens (Hegel, Marx), sondern welches eher über ein
polares und dann gegenseitig sich bedingendes Seinsverständnis die
Vorstellung einer unbegrenzten Austauschbarkeit und der darin be-
schlossenen Wandlungsfähigkeit aller Dinge zum Ausdruck brächte,
man könnte von einer immanenten Sprach-Dynamik sprechen.
Der Aussageeffekt mag zunächst einer konjungierenden Satzfügung
nahestehen: „schön und - dreist“, „rasch und - behutsam“, erst in der
Verknüpfung von Verben kommt der quasi-dialektische Gedanke zum
Zuge: „regieren und dabei behutsam sein“ werden mithilfe des Funk-
tionswortes er („und dabei“) zu zwei sich ergänzenden und doch auch
gegensätzlichen Formen politischen Verhaltens: der Regierung wird die
Behutsamkeit immanent, diese wird zum Ausdruck von Regierung. Das
Funktionswort er ist ein Verknüpfungswort, die beiden so verknüpften
Wörter verbaler Funktion werden nicht additiv, sondern integral ver-
standen.
Die wichtigsten Aussageformen sind selbstverständlich entwickelt,
neben Frage-, Aussage- und Bestimmungssätzen das Bedingungs-, das
Kausal-, das Konzessiv- und das Instrumentalverhältnis, wobei es wie-
der interessant ist, festzuhalten, daß Verknüpfung (s. o.) zugleich Ent-
gegensetzung sein kann, und daß Instrumental und Kausal, daß Kausal
und Final ineinander übergehen können. Hierfür ist ein anderes Funk-
tionswort von zentraler Wichtigkeit, nämlich das Wort ui mit der ur-
sprünglich verbalen Bedeutung „nehmen“, daraus können Instrumen-
tal, Kausal und Final in gleicher Weise gebildet werden. Ich will das
jetzt aber nicht mit weiteren Beispielen zu sehr belasten.
Aber noch ein Wort zur Begriffsfixierung. Ich sprach von Komplex-
begriffen, das soll heißen, nicht die Trennschärfe der Begrifflichkeit ist
das Ziel denkerischen Bemühens, das ist bei der unflektierten Mono-