Sinologische Anmerkungen
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syllabität auch immer schwierig, sondern das Verstehen des Impuls-
charakters bestimmter Schlüsselbegriffe, die ein Bedeutungs- und Re-
aktionsfeld eröffnen, dem der Mensch sich zu seiner Bildung und inne-
ren Vervollkommnung zuwendet.
Ein wenig Grammatik und Semantik des Chinesischen an dieser Stel-
le schien mir für Aussagen über Formen des Denkens angemessen zu
sein. Der Befund zeigt in seiner ganzen Bruchstückhaftigkeit, daß die
Formen der Sprache das Denken auf Begriffskomplexe anlegen, ich will
nicht sagen festlegen, daß der eigentliche Reiz des Denkens, und wohl
auch des Dichtens, anscheinend „metasprachlich“ (in Analogie zu me-
ta-physisch) motiviert ist, womit Denken und Dichten viel näher zuein-
ander rücken als das in unserer Tradition der Fall ist. Ich plädiere für ei-
nen Begriff des Komplexdenkens, dem eine antinomisch bestimmte,
korrelierende Analogiebildung eigen ist, um den Dialektikbegriff bei-
seite zu lassen, dieses Denken ist umfassend, indem es sich diskursiv ein-
schränkt, es ist systematisch und darin didaktisch, seine Tiefe läßt sich
nur von der Oberfläche der Begriffsfolgen, die als solche Sätze sind,
gleichsam ausloten. Schreiber und Leser haben Jahre darangehängt, ei-
nen Text kommentierend und internalisierend zu verstehen. Der Über-
setzer kann nur dann richtig und sinnfällig übersetzen, wenn er die
Komplexhaftigkeit für sich nachvollziehen kann, das ist oft ein mühsa-
mer Weg.
Ich möchte einen zweiten semantischen Bereich für das Verstehen
einiger Begriffe des Wissens und Denkens hervorheben. Das „Herz“
xin, wird so sehr als Sitz des menschlichen Bewußtseins angesehen, daß
die Chinesen dieses Schriftzeichen, das dem anatomischen Bild des Or-
gans gut entspricht, als Bedeutungsanzeiger für alle Vorgänge des Den-
kens und des Gefühlslebens verwenden, nach dem chinesisch-japani-
schen Standardlexikon Dai Kanwa jiten (Tokyo 1955-60), sind dies
rund 270 Begriffe, gezählt nur diejenigen, die syntaktisch relevant sind,
d. h. Verbindungen mit anderen Wörtern eingehen. Von dem Wort si-
xiang (sino-jap. shisö) war schon die Rede, „sinnendes Nachdenken“
hatte ich erläutert, „gedenken“ und „be-denken“ könnte man zusam-
menstellen. Das moderne Wort für Kenntnis, Wissen, setzt sich zusam-
men aus zhl „wahrnehmen“, woraus „wissen“ (Verb) und „Wissen“
(Nomen) hervorgehen, und shi „erfassen“. Das moderne Wort für Be-
wußtsein im politischen Sinn jüewü bedeutet eigentlich ein Erwachen zu
einem Gewahrwerden. Es zeigt dies alles in eine Richtung, die wir dem
Bereich der Erkenntnis aus Erfahrung und weniger dem der reinen Er-
kenntnis zuweisen würden. Das hieße wiederum dem Bereich des Sub-
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syllabität auch immer schwierig, sondern das Verstehen des Impuls-
charakters bestimmter Schlüsselbegriffe, die ein Bedeutungs- und Re-
aktionsfeld eröffnen, dem der Mensch sich zu seiner Bildung und inne-
ren Vervollkommnung zuwendet.
Ein wenig Grammatik und Semantik des Chinesischen an dieser Stel-
le schien mir für Aussagen über Formen des Denkens angemessen zu
sein. Der Befund zeigt in seiner ganzen Bruchstückhaftigkeit, daß die
Formen der Sprache das Denken auf Begriffskomplexe anlegen, ich will
nicht sagen festlegen, daß der eigentliche Reiz des Denkens, und wohl
auch des Dichtens, anscheinend „metasprachlich“ (in Analogie zu me-
ta-physisch) motiviert ist, womit Denken und Dichten viel näher zuein-
ander rücken als das in unserer Tradition der Fall ist. Ich plädiere für ei-
nen Begriff des Komplexdenkens, dem eine antinomisch bestimmte,
korrelierende Analogiebildung eigen ist, um den Dialektikbegriff bei-
seite zu lassen, dieses Denken ist umfassend, indem es sich diskursiv ein-
schränkt, es ist systematisch und darin didaktisch, seine Tiefe läßt sich
nur von der Oberfläche der Begriffsfolgen, die als solche Sätze sind,
gleichsam ausloten. Schreiber und Leser haben Jahre darangehängt, ei-
nen Text kommentierend und internalisierend zu verstehen. Der Über-
setzer kann nur dann richtig und sinnfällig übersetzen, wenn er die
Komplexhaftigkeit für sich nachvollziehen kann, das ist oft ein mühsa-
mer Weg.
Ich möchte einen zweiten semantischen Bereich für das Verstehen
einiger Begriffe des Wissens und Denkens hervorheben. Das „Herz“
xin, wird so sehr als Sitz des menschlichen Bewußtseins angesehen, daß
die Chinesen dieses Schriftzeichen, das dem anatomischen Bild des Or-
gans gut entspricht, als Bedeutungsanzeiger für alle Vorgänge des Den-
kens und des Gefühlslebens verwenden, nach dem chinesisch-japani-
schen Standardlexikon Dai Kanwa jiten (Tokyo 1955-60), sind dies
rund 270 Begriffe, gezählt nur diejenigen, die syntaktisch relevant sind,
d. h. Verbindungen mit anderen Wörtern eingehen. Von dem Wort si-
xiang (sino-jap. shisö) war schon die Rede, „sinnendes Nachdenken“
hatte ich erläutert, „gedenken“ und „be-denken“ könnte man zusam-
menstellen. Das moderne Wort für Kenntnis, Wissen, setzt sich zusam-
men aus zhl „wahrnehmen“, woraus „wissen“ (Verb) und „Wissen“
(Nomen) hervorgehen, und shi „erfassen“. Das moderne Wort für Be-
wußtsein im politischen Sinn jüewü bedeutet eigentlich ein Erwachen zu
einem Gewahrwerden. Es zeigt dies alles in eine Richtung, die wir dem
Bereich der Erkenntnis aus Erfahrung und weniger dem der reinen Er-
kenntnis zuweisen würden. Das hieße wiederum dem Bereich des Sub-