Sinologische Anmerkungen
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zhou Schiffswerft Englisch studierte, und nicht Französisch, was den lei-
tenden ausländischen Ingenieuren nach nahegelegen hätte. (Vermutlich
galten Schiffsbau und Navigationskunst eher als englisch-sprachige Ge-
genstände). So reiste Yan Fu nach London, um sich im Studium der
„fremden Angelegenheiten“ (so der früheste chinesische Begriff für
westliche Technik und deren Hintergründe) weiterzubilden. Das Epo-
chemachende der Wirkungen dieses einen Mannes liegt in seinem fast
getriebenen Übersetzungseifer. Die Niederlage des chinesischen Groß-
reiches durch das scheinbar so kleine Japan in den Jahren 1894/95 übte
auf die damalige öffentliche Meinung, Hof, Intelligenz und Bürokratie,
eine schockartige Wirkung aus. Yan Fu gehörte dazu, persönlich fru-
striert und unter der nationalen Schande leidend, begann er zu schrei-
ben. In den Jahren zwischen 1898 und 1909 veröffentlichte er acht,
man darf sagen, Standardwerke der Zeit, zunächst Thomas Henry Hux-
leys „Evolution and Ethics“, John Stuart Mills „On Liberty“, Adam
Smiths „An Inquiry into the Nature and Gauses of the Wealth of Na-
tions“ und Herbert Spencers „Study of Sociology“, also viktorianischer
Liberalismus, ergänzt durch die Logikschriften Mill’s und William Je-
vons, sowie eine politische Geschichte von Jeremiah Jenks und nicht zu-
letzt Montesquieus „Esprit des Lois“. Zum Liberalismus und Utilitaris-
mus gesellte sich ein Stück Sozialdarwinismus, und während die liberali-
stischen Ideen kaum recht wahrgenommen wurden, waren es die Ausle-
se der Bestangepaßten, die Durchsetzungskraft des Starken, und solche
Schlagworte wie Selektion und Evolution, welche die Gemüter im er-
sten Jahrzehnt des 20. Jh. bewegten. Stärkung der Nation politisch und
wirtschaftlich, wie Adam Smith zu sagen schien (den Plural „Nations“
hatte der Übersetzer geflissentlich übersehen). Wie überhaupt das
Übersetzungsproblem zum Kardinalproblem der ganzen Rezeptionsge-
schichte werden mußte. Yan Fu übersetzte bedacht, er schrieb in klassi-
schem Chinesisch, und er kommentierte ausführlich, seine Grundsätze
waren Texttreue, Sinnfälligkeit und Eleganz des Stils - es war das letz-
tere, was ihn berühmt machte. Aber er suchte durch seine Übersetzun-
gen auch Politik zu machen: Spencers in chinesischen Augen relativ
konservative Soziologie sollte dem Einfluß der damaligen Radikalen
unter Sun Yat-sen entgegenwirken. Rezeptionsgeschichte ist oft schon
bei einem Text verwickelt, wie erst bei einem Bündel verschiedener
Philosophien!
Die Tatsache, daß zufällig angelsächsisches Denken in China zuerst
Eingang gefunden hatte, führte dazu, daß analytische Philosophie,
Pragmatismus, Neopositivismus in China vor anderen Richtungen be-
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zhou Schiffswerft Englisch studierte, und nicht Französisch, was den lei-
tenden ausländischen Ingenieuren nach nahegelegen hätte. (Vermutlich
galten Schiffsbau und Navigationskunst eher als englisch-sprachige Ge-
genstände). So reiste Yan Fu nach London, um sich im Studium der
„fremden Angelegenheiten“ (so der früheste chinesische Begriff für
westliche Technik und deren Hintergründe) weiterzubilden. Das Epo-
chemachende der Wirkungen dieses einen Mannes liegt in seinem fast
getriebenen Übersetzungseifer. Die Niederlage des chinesischen Groß-
reiches durch das scheinbar so kleine Japan in den Jahren 1894/95 übte
auf die damalige öffentliche Meinung, Hof, Intelligenz und Bürokratie,
eine schockartige Wirkung aus. Yan Fu gehörte dazu, persönlich fru-
striert und unter der nationalen Schande leidend, begann er zu schrei-
ben. In den Jahren zwischen 1898 und 1909 veröffentlichte er acht,
man darf sagen, Standardwerke der Zeit, zunächst Thomas Henry Hux-
leys „Evolution and Ethics“, John Stuart Mills „On Liberty“, Adam
Smiths „An Inquiry into the Nature and Gauses of the Wealth of Na-
tions“ und Herbert Spencers „Study of Sociology“, also viktorianischer
Liberalismus, ergänzt durch die Logikschriften Mill’s und William Je-
vons, sowie eine politische Geschichte von Jeremiah Jenks und nicht zu-
letzt Montesquieus „Esprit des Lois“. Zum Liberalismus und Utilitaris-
mus gesellte sich ein Stück Sozialdarwinismus, und während die liberali-
stischen Ideen kaum recht wahrgenommen wurden, waren es die Ausle-
se der Bestangepaßten, die Durchsetzungskraft des Starken, und solche
Schlagworte wie Selektion und Evolution, welche die Gemüter im er-
sten Jahrzehnt des 20. Jh. bewegten. Stärkung der Nation politisch und
wirtschaftlich, wie Adam Smith zu sagen schien (den Plural „Nations“
hatte der Übersetzer geflissentlich übersehen). Wie überhaupt das
Übersetzungsproblem zum Kardinalproblem der ganzen Rezeptionsge-
schichte werden mußte. Yan Fu übersetzte bedacht, er schrieb in klassi-
schem Chinesisch, und er kommentierte ausführlich, seine Grundsätze
waren Texttreue, Sinnfälligkeit und Eleganz des Stils - es war das letz-
tere, was ihn berühmt machte. Aber er suchte durch seine Übersetzun-
gen auch Politik zu machen: Spencers in chinesischen Augen relativ
konservative Soziologie sollte dem Einfluß der damaligen Radikalen
unter Sun Yat-sen entgegenwirken. Rezeptionsgeschichte ist oft schon
bei einem Text verwickelt, wie erst bei einem Bündel verschiedener
Philosophien!
Die Tatsache, daß zufällig angelsächsisches Denken in China zuerst
Eingang gefunden hatte, führte dazu, daß analytische Philosophie,
Pragmatismus, Neopositivismus in China vor anderen Richtungen be-