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Grimm, Tilemann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 7. Abhandlung): Sinologische Anmerkungen zum europäischen Philosophiebegriff — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47800#0026
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Tilemann Grimm

kannt wurden, John Dewey und Bertrand Rüssel haben beide einige
Zeit in China verbracht und die junge Intelligenz bewegt. Doch melde-
ten sich die ersten Kritiker, denen die Geisteskultur am Herzen lag,
klärlich ein konfuzianischer Reflex, sie fanden eher im deutschen Erbe
die hier relevanten Gesichtspunkte. Doch läßt sich für beide Richtun-
gen, Pragmatismus und Idealismus, die eigene Überlieferung heranzie-
hen, sowohl das konkrete sittliche Tun als auch die ontologischen An-
satzpunkte sind im Konfuzianismus wohl verwurzelt. Wie ganz allge-
mein gelten kann, die non-theistische Struktur des Neo-Konfuzianis-
mus ist der Rezeption später westlicher Theorien günstig, man muß
nicht erst einem Gottesglauben abschwören, es kommt vielmehr darauf
an, verkrustete soziale Strukturen zu überwinden.
In den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts erhob sich in der chi-
nesischen Intelligenz ein heftiger Streit zwischen Vertretern der Wis-
senschaft als Science und einer als Lebensanschauung bezeichneten,
deutsch-französisch beeinflußten geistigen Tendenz. Eucken, Driesch
und Henri Bergson waren hier die Mentoren. Driesch hat seinerseits
auch eine Zeit lang in China gelehrt. Natürlich ist der Begriff „Lebens-
anschauung“ als Übersetzung von Rudolf Euckens Buchtitel (1890) zu
verstehen. Der chinesische, deutsch und japanisch ausgebildete Philo-
soph und Politiker Zhang Jün-mai (bekannter als Carsun Zhang) sah
sich nach einem Vortrag über das Wesen der Lebensanschauung an der
Pekinger Tsinghua Universität im Februar 1923 auf das heftigste befeh-
det von Ding Wen-jiang (bekannt als V. K. Ting), einem in Glasgow
promovierten Geologen und Zoologen, der den Geological Survey of
China aufgebaut hat und zu den prominentesten modernen Wissen-
schaftlern im damaligen China gehörte, prominent nicht zuletzt wegen
seiner scharfen Feder, mit der er Wissenschaftspolitik betrieb. Wo
Zhang der Subjektivität, Intuition, Ganzheitlichkeit und dem freien
Willen das Wort redete, konterte Ding mit der Verurteilung des ganzen
Spuks als Mystik, die sich dem Wahrheitskriterium entziehe, ohne daß
deren Anhänger bemerkten, daß auch sie, die Lebensphilosophen, im-
mer an wissenschaftlichen, und das hieß positivistischen Kriterien, sich
messen lassen müßten. In die Debatte traten andere renommierte Wis-
senschaftler ein, die mit Argumenten der europäischen Philosophie ei-
nen chinesischen Meinungsstreit ausfochten. Und doch lag beiden Par-
teien, der lebensphilosophischen wie der wissenschafts-positivistischen,
das neo-konfuzianische Erbe zugrunde: das Insistieren auf Subjektivi-
tät, intuitive Erkenntnis und den Primat des Lebens gehört ebenso dort-
hin wie die Abqualifizierung als Mystik oder Metaphysik seitens der Po-
 
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