I
Nach Art. 103 Abs. II GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn
die Strafbarkeit durch Gesetz bestimmt war, bevor die Tat begangen
wurde. Darüber hinaus verlangt die Verfassung1, daß die Strafbarkeit
bestimmt genug geregelt sei; jedermann soll vorhersehen können,
welches Handeln mit welcher Strafe bedroht ist, damit er sein Ver-
halten daraufhin einrichten kann. Dasselbe verlangen § 1 StGB und
in ähnlicher Formulierung Art. 7 MRK. Die ganz h.M.2 vertritt schon
zu Art. 103 Abs. II GG die Auffassung, daß sich die verfassungs-
rechtliche Garantie nicht nur auf die gesetzliche Bestimmtheit des
Tatbestandes, sondern auch auf die Bestimmtheit der Strafandrohung
beziehe. Als Grund für die Forderung wird das Rechtsstaatsprinzip an-
gegeben, aber auch die Würde und selbstverantwortliche Autonomie
des Menschen. Dürig3 etwa spricht von einer „wertsystematischen
Begründung“, von einer „letzten und eigentlichen Wertfundierung in
der vom Grundgesetz vorausgesetzten und anerkannten Eigenver-
antwortlichkeit und Würde des Menschen“.
Die Formulierung des Art. 103 Abs. II GG weist auf Feuerbach
zurück, auf jene drei Grundsätze, die Feuerbach im § 20 seines
Lehrbuchs4 aufstellte. Sie heißen wörtlich zitiert:
1 Im Habilitationsverfahren vor der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universi-
tät Freiburg i. Br. am 17. Dezember 1981 gehaltener Vortrag.
BVerfGE 25,269 (285); 26,41 (42). Ähnliche Bestimmungen finden sich auch
in einigen Länderverfassungen: Bayern Art. 104 Abs. II, Berlin Art. 66, Bremen
Art. 7 Abs. I, Hessen Art. 22 Abs. I, Rheinland-Pfalz Art. 6 Abs. II, Saarland
Art. 15. Daß Art. 103 Abs. II GG darüber hinaus eine Grundlagenbedeutung
als „Sitz des ganzen Auslegungsproblems“ im Strafrecht hat, sei hier nur ge-
streift. Vgl. dazu: Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, 1969,
S. 41 m.w.N. in FN 43. Zum Verhältnis von Art. 103 Abs. II zu Art. 104 Abs. I GG:
Tiedemann, a.a.O. S. 250-262.
2 Zusammenstellung des Meinungsstandes bei Maunz-Dürig-Herzog, Grundge-
setz, Art. 103, FN 1 zu RdNr. 108.
3 Maunz-Dürig-Herzog, Art. 103, RdNr. 104; ähnlich: Sax in: Die Grund-
rechte, 1959, Band III 2, S. 998-999. Grundlegend: BayVerfGH, VerwRspr 3,
145; BayVerfGHE 1956, S. 357.
4 Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts. Zitiert wird
nach der 11. Aufl. von 1832 (S. 19). Die erste Auflage erschien 1801, also im
Nach Art. 103 Abs. II GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn
die Strafbarkeit durch Gesetz bestimmt war, bevor die Tat begangen
wurde. Darüber hinaus verlangt die Verfassung1, daß die Strafbarkeit
bestimmt genug geregelt sei; jedermann soll vorhersehen können,
welches Handeln mit welcher Strafe bedroht ist, damit er sein Ver-
halten daraufhin einrichten kann. Dasselbe verlangen § 1 StGB und
in ähnlicher Formulierung Art. 7 MRK. Die ganz h.M.2 vertritt schon
zu Art. 103 Abs. II GG die Auffassung, daß sich die verfassungs-
rechtliche Garantie nicht nur auf die gesetzliche Bestimmtheit des
Tatbestandes, sondern auch auf die Bestimmtheit der Strafandrohung
beziehe. Als Grund für die Forderung wird das Rechtsstaatsprinzip an-
gegeben, aber auch die Würde und selbstverantwortliche Autonomie
des Menschen. Dürig3 etwa spricht von einer „wertsystematischen
Begründung“, von einer „letzten und eigentlichen Wertfundierung in
der vom Grundgesetz vorausgesetzten und anerkannten Eigenver-
antwortlichkeit und Würde des Menschen“.
Die Formulierung des Art. 103 Abs. II GG weist auf Feuerbach
zurück, auf jene drei Grundsätze, die Feuerbach im § 20 seines
Lehrbuchs4 aufstellte. Sie heißen wörtlich zitiert:
1 Im Habilitationsverfahren vor der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universi-
tät Freiburg i. Br. am 17. Dezember 1981 gehaltener Vortrag.
BVerfGE 25,269 (285); 26,41 (42). Ähnliche Bestimmungen finden sich auch
in einigen Länderverfassungen: Bayern Art. 104 Abs. II, Berlin Art. 66, Bremen
Art. 7 Abs. I, Hessen Art. 22 Abs. I, Rheinland-Pfalz Art. 6 Abs. II, Saarland
Art. 15. Daß Art. 103 Abs. II GG darüber hinaus eine Grundlagenbedeutung
als „Sitz des ganzen Auslegungsproblems“ im Strafrecht hat, sei hier nur ge-
streift. Vgl. dazu: Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, 1969,
S. 41 m.w.N. in FN 43. Zum Verhältnis von Art. 103 Abs. II zu Art. 104 Abs. I GG:
Tiedemann, a.a.O. S. 250-262.
2 Zusammenstellung des Meinungsstandes bei Maunz-Dürig-Herzog, Grundge-
setz, Art. 103, FN 1 zu RdNr. 108.
3 Maunz-Dürig-Herzog, Art. 103, RdNr. 104; ähnlich: Sax in: Die Grund-
rechte, 1959, Band III 2, S. 998-999. Grundlegend: BayVerfGH, VerwRspr 3,
145; BayVerfGHE 1956, S. 357.
4 Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts. Zitiert wird
nach der 11. Aufl. von 1832 (S. 19). Die erste Auflage erschien 1801, also im