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Bohnert, Joachim; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1982, 2. Abhandlung): Paul Johann Anselm Feuerbach und der Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht — Heidelberg: Winter, 1982

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https://doi.org/10.11588/diglit.47805#0015
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P. J. Feuerbach und der Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht

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förmliche Androhung unerläßlich. Warum muß dieses Gesetz aber
bestimmt sein? Anders gefragt: Schreckt nicht das Unbestimmte
viel mehr, und zeigt nicht die traurige Erfahrung, daß die Gesetze
um so unbestimmter und dehnbarer sind, je schrecklicher ein Regime
ist und je abschreckender seine Gesetze sein sollen?35
Eine oft gegebene Antwort36 greift zu kurz. Es ist nicht der Be-
griff des Rechtsstaats, der Feuerbachs Verständnis vom bestimmten
Strafgesetz leitete37. Der Begriff des „Rechtsstaats“ kommt in seiner
Strafrechtstheorie nicht vor38. Seine Strafrechtstheorie steht zu ihm
eher in einem Spannungsverhältnis, worauf ich noch eingehen werde.
Der einzige Grund, warum das Strafgesetz bestimmt sein muß,
ist für ihn der, daß ein unbestimmtes Gesetz seinen Abschreckungs-
zweck nicht erfüllt39. Die Erzeugung von unbestimmter Angst, das
Erschrecken beim Anblick überraschend-verunsichemden Durch-
greifens, die lastende Ungewißheit, was verboten, was erlaubt ist,
all das verhindert nicht die Taten. Der Präventivzweck des Straf-
gesetzes wirkt nur dann zur Vermeidung von Handlungen, wenn die
Handlungen auch bezeichnet werden, deren Ausübung durch die
Drohung des Gesetzes verboten ist. Die Unterlassungszwangswirkung
hinsichtlich einer bestimmten Handlung kann nur von einem Gesetz
ausgehen, das eben diese Handlung genau markiert und aus der
Menge aller möglichen Handlungen hervorhebt. Denn unterlassen
im relevanten Sinn kann ich nur eine bestimmte Handlung. Weil
ich unbestimmte Handlungen weder tun noch unterlassen kann,
wäre auch ein Gesetz mit dieser Absicht unsinnig und fehlerhaft.

35 Über das rechte Maß der Abschreckungswirkung: Revision I S. 292/293; Über die
bevorstehende Reform der bayerischen Criminalgesetzgebung (1805), Biographi-
scher Nachlaß (o. Anm. 6), I S. 132f.
36 Radbruch, Eine Feuerbach-Gedenkrede, hg. von Eb. Schmidt, 1952, S. 8;
P. J. A. Feuerbach. Ein Juristenleben. 3. Aull. hg. von Erik Wolf, 1969, S. 86;
Wolf, GRD, S. 550, 561; Kipper, J. P. A. Feuerbach. Sein Leben als Denker,
Gesetzgeber und Richter, 1969, S. 27.
37 Freilich ist der Zweck des Staats auch der Endzweck der Strafgesetzgebung
(Revision II S. 217) und Zweck des Staates ist die Wahrung des Rechts (vgl.
o. Anm. 25); dennoch ist der zunächst liegende Zweck des Strafgesetzes seine
Wirkung, also seine Abschreckungs-Wirkung.
38 Auch die (heutige) Begründung aus der Menschenwürde (vgl. o. Anm. 3) findet
sich in Feuerbachs Strafrechtstheorie nicht: Naucke (o. Anm. 25), S. 77/78;
Hartmann (o. Anm. 21), S. 125.
39 Revision I S. 49, 135, 284, 285.
 
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