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Joachim Bohnert
Das Bestimmtheitserfordemis des Gesetzes steht daher mit der
Straftheorie Feuerbachs in wechselbezüglichem Zusammenhang, so
daß es nun besser erklärlich ist, warum die drei Sätze „nulla poena
sine lege, nulla poena sine crimine, nullum crimen sine poena
legali“ ebenso Grundsätze wie Folgesätze sind und sein müssen. Die
bloße Form dieser Wechselbezüglichkeit der Grundsätze ist keine
Eigentümlichkeit der Theorie Feuerbachs, die ihm zum Vorwurf ge-
macht werden könnte, sondern das Wesen der metaphysischen
Reflexion überhaupt.
III
Das kritische Umschreiten dieses Gedankengefüges möchte ich am
Punkt der psychologischen Zwangswirkung im Rechtsunterworfenen
beginnen. Feuerbach besteht mit allem Nachdruck auf der unmittel-
baren Gegenwirkung, welche durch die Androhung der Strafe auf
die gegebenen Antriebe der Sinnlichkeit stattfindet40. Die Straf-
drohung selbst ist im Grunde genommen nichts anderes als ein An-
trieb der Sinnlichkeit, der einem Lustantrieb einen Unlustantrieb ge-
genüberstellt und damit gesetzmäßiges Handeln dem Rechtsunter-
worfenen aufzwingt. Das Strafrecht zielt daher immer auf Unter-
lassung. In jüngster Zeit ist unter dem Titel eines „negativen Hand-
lungsbegriffs“ eine nahestehende Lösung wieder von Herzberg41 und
Behrendt42 vorgeschlagen worden.
40 Revision I S. 198, 199.
41 Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972;
z.B. der Begriff des „vermeidbaren Nichtvermeidens“ (S. 170f.). S. 188: „Streng
genommen gebieten strafrechtliche Normen einheitlich ein Vermeiden.“ Das ter-
tium comparationis zwischen Feuerbachs und Herzbergs Ansatz liegt in der
„Fähigkeit, sich überhaupt zurückzuhalten“ (Herzberg, S. 204), welcher Fähig-
keit die „Willkür“ in Feuerbachs Denken entspricht. Der Hinweis auf die Ver-
gleichbarkeit mit einer jüngst vertretenen Theorie sollte freilich nicht überschätzt
werden.
42 Behrendt, Die Unterlassung im Strafrecht. Entwurf eines negativen Handlungs-
begriffs auf psychoanalytischer Grundlage, 1979. Behrendt steht Feuerbach noch
näher als Herzberg, weil er statt vom dogmatisch-strafrechtlichen Verständnis
vom Grundsatz der Triebbestimmtheit des menschlichen Verhaltens ausgeht
(Behrendt, S. 10). Diese Triebbestimmtheit ist von Feuerbachs „Antrieben der
Sinnlichkeit“ so entfernt wie der Computer vom Hammer. Aber das Modell der
„unterlassenen Gegensteuerungsmaßnahme“ (Behrendt, S. 128) liegt beiden Vor-
stellungsweisen des strafrechtlichen Vorwurfs zu Grund.
Joachim Bohnert
Das Bestimmtheitserfordemis des Gesetzes steht daher mit der
Straftheorie Feuerbachs in wechselbezüglichem Zusammenhang, so
daß es nun besser erklärlich ist, warum die drei Sätze „nulla poena
sine lege, nulla poena sine crimine, nullum crimen sine poena
legali“ ebenso Grundsätze wie Folgesätze sind und sein müssen. Die
bloße Form dieser Wechselbezüglichkeit der Grundsätze ist keine
Eigentümlichkeit der Theorie Feuerbachs, die ihm zum Vorwurf ge-
macht werden könnte, sondern das Wesen der metaphysischen
Reflexion überhaupt.
III
Das kritische Umschreiten dieses Gedankengefüges möchte ich am
Punkt der psychologischen Zwangswirkung im Rechtsunterworfenen
beginnen. Feuerbach besteht mit allem Nachdruck auf der unmittel-
baren Gegenwirkung, welche durch die Androhung der Strafe auf
die gegebenen Antriebe der Sinnlichkeit stattfindet40. Die Straf-
drohung selbst ist im Grunde genommen nichts anderes als ein An-
trieb der Sinnlichkeit, der einem Lustantrieb einen Unlustantrieb ge-
genüberstellt und damit gesetzmäßiges Handeln dem Rechtsunter-
worfenen aufzwingt. Das Strafrecht zielt daher immer auf Unter-
lassung. In jüngster Zeit ist unter dem Titel eines „negativen Hand-
lungsbegriffs“ eine nahestehende Lösung wieder von Herzberg41 und
Behrendt42 vorgeschlagen worden.
40 Revision I S. 198, 199.
41 Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972;
z.B. der Begriff des „vermeidbaren Nichtvermeidens“ (S. 170f.). S. 188: „Streng
genommen gebieten strafrechtliche Normen einheitlich ein Vermeiden.“ Das ter-
tium comparationis zwischen Feuerbachs und Herzbergs Ansatz liegt in der
„Fähigkeit, sich überhaupt zurückzuhalten“ (Herzberg, S. 204), welcher Fähig-
keit die „Willkür“ in Feuerbachs Denken entspricht. Der Hinweis auf die Ver-
gleichbarkeit mit einer jüngst vertretenen Theorie sollte freilich nicht überschätzt
werden.
42 Behrendt, Die Unterlassung im Strafrecht. Entwurf eines negativen Handlungs-
begriffs auf psychoanalytischer Grundlage, 1979. Behrendt steht Feuerbach noch
näher als Herzberg, weil er statt vom dogmatisch-strafrechtlichen Verständnis
vom Grundsatz der Triebbestimmtheit des menschlichen Verhaltens ausgeht
(Behrendt, S. 10). Diese Triebbestimmtheit ist von Feuerbachs „Antrieben der
Sinnlichkeit“ so entfernt wie der Computer vom Hammer. Aber das Modell der
„unterlassenen Gegensteuerungsmaßnahme“ (Behrendt, S. 128) liegt beiden Vor-
stellungsweisen des strafrechtlichen Vorwurfs zu Grund.