Metadaten

Bohnert, Joachim; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1982, 2. Abhandlung): Paul Johann Anselm Feuerbach und der Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht — Heidelberg: Winter, 1982

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47805#0021
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
P. J. Feuerbach und der Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht

19

gesetzes mit dem Strafgesetz. Ohne die Anknüpfung an ein Ver-
mögen könnte das Strafgesetz nicht auf einen Handelnden wirken.
Was aber das Wesen dieser unfreien Willkür ist, läßt Feuerbach im
Dunkeln. Unter den Beteiligten am Streit der Gesetze, nämlich dem
Naturgesetz der Kausalität, der Abschreckungswirkung des Straf-
gesetzes und der determinierten Willkür des handelnden Menschen,
ist der Kampf schon vorentschieden. Alle drei gehören der Not-
wendigkeit an, und im Notwendigen mag es zwar Widersprüche und
Spannungen geben, aber deren Auflösung gehört ebenso der Not-
wendigkeit an und nivelliert also den Widerspruch zu einem Vor-
gang, der selbst nur wieder notwendig war und ebenso geschehen
mußte wie die Tat und ihre Unterlassung.
Feuerbach hatte nur ein Kriterium der Willkür, welches seiner
Zurechnungslehre eine gewisse Gliederung gab. Damit das Straf-
gesetz an der Willkür ansetzen könne, muß es auf die Willkür ge-
wirkt haben, und das setzt voraus, daß das Gesetz wenigstens im
Großen und Ganzen dem Täter bekannt war52. Also konnte er in
Art. 98 des Bayerischen StGB von 1813 Kinder unter acht Jahren
immer und Junge Leute“ unter zwölf Jahren von der Strafbarkeit
ganz oder immerhin beschränkt ausnehmen, mit der Vermutung,
daß diesen das Gesetz in seiner Wirkungsweise noch nicht bekannt
war. Den Unzurechnungsfähigen oder den beschränkt Zurechnungs-
fähigen aber, die zwar das Gesetz kannten, seiner Anweisung aber
infolge von Störungen zu folgen außerstande waren, brachte er sein
Leben lang nur ein konsequentes Unverständnis entgegen53. Er durfte
Gesetzgeber spricht, alle Einwendungen der Philosophie ein Ende haben“ (Revi-
sion I S. 249; vgl. auch: Kritik des natürlichen Rechts, S. XI, XII; Über die
Strafe, S. 19).
51 Revision II S. 72-74, 125, 148f., 154. Dennoch spricht Feuerbach von einem
„Eingriff in den Mechanismus des tierischen Begehrens“. Die Differenzierung
von Vernunft und Verstand (Revision II S. 376), die helfen soll, teilt, an Kant
angelehnt, nur Begriffe zu, löst aber das Problem nicht. Eb. Schmidt (o. Anm. 11)
spricht im Anschluß an Grünhut von „Abschreckbarkeit“.
52 Lehrbuch S. 65/66 (§ 86); differenzierter: Revision II S. 45 (vgl. o. Anm. 50).
53 In Art. 93 BayStGB war Strafmilderung vorgesehen. Ähnlich konsequent-unbe-
stimmt war Feuerbachs Verhältnis zur Fahrlässigkeit; vgl. Grünhut (o. Anm. 12),
S. 153, 201, 202. In seinem Entwurf von 1824 hatte Feuerbach die Bereitschaft
gezeigt, mit der Anerkennung einer verminderten Zurechnungsfähigkeit „eine der
letzten großen Bastionen und unmittelbaren Konsequenzen der Theorie vom
psychischen Zwang im Strafgesetzbuch“ aufzugeben (Schubert (o. Anm. 16),
S. 206, 210). In seinem Lehrbuch hielt Feuerbach dagegen seine Lehre unver-
ändert aufrecht (Schubert, a.a.O.).
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften