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Schulin, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1983, 2. Abhandlung): Burckhardts Potenzen- und Sturmlehre: zu seiner Vorlesung über das Studium der Geschichte (den Weltgeschichtlichen Betrachtungen)$dvorgetragen am 30. April 1983 — Heidelberg: Winter, 1983

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https://doi.org/10.11588/diglit.47810#0032
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Ernst Schulin

verloren, daß sie bei der Kultur untergebracht werden kann. Diese Kul-
tur ist aber weit weniger der Bereich geistiger Spontaneität als der
Erhaltung von Traditionswerten und traditionellen Strukturmustem.
Wahrscheinlich ist dadurch die gegenwärtige Welt adäquater zu erfas-
sen. Fraglicher erscheint es mir, ob es für die Betrachtung der Ver-
gangenheit, besonders der vormodemen Zeiten, erkenntnisfördemd
ist; fraglich ist das weniger hinsichtlich der Gewichtung von Wirtschaft
und Gesellschaft, die ja auch schon den Zeitgenossen von Burckhardt
geläufig war, als hinsichtlich der Unterschätzung der Eigenbedeutung
der Religion.40
Meine zweite Schlußbemerkung: Wie schwer fällt es doch dem
Historiker, selbst einem so meisterhaften Stilisten wie Burckhardt,
Worte, eine Sprachebene, ein theoretisches Bezugssystem zu finden,
wenn er über die Darstellung eines speziellen faktischen historischen
Zusammenhanges hinausgehen und sich allgemeiner über Geschichte
äußern will! Kein Wunder, daß er es lieber in gesprochener Rede tut,
also verbindlich nur in Bezug zu einem für ihn überschaubaren Hörer-
kreis. Es würde zu weit führen, die Gründe für diese Schwierigkeiten
zu erörtern. Der heutige Leser von Burckhardts Manuskripten muß
sich aber sowohl der Unfertigkeit als auch der besonderen Unab-
hängigkeit dieser Texte bewußt sein und damit der Chance, durch
eigene aktive Mitarbeit Burckhardts vielschichtige Einsichten in die
gemeinsam interessierende Sache zutage- und vielleicht weiterzuför-
dem.
sation materielle, economie et capitalisme, XV-XVIII6 siede, Paris 1979, Bd. 2,
S. 409, wenn auch Braudel die Gesellschaft lieber als „l’ensemble des ensembles“
ansehen möchte. Ähnlich auch Jürgen Kocka, Sozialgeschichte, Göttingen 1977,
S. 97. Eine systematische Untersuchung der gegenseitigen Bedingtheiten ist mir
nicht bekannt, wenn auch diesen und anderen Autoren die Interdependenzen
geläufige Gesichtspunkte sind.
40 Über mögliche weitere Potenzen neben Burckhardts Dreizahl: Kaegi (wie Anm. 9),
Bd. VI, S. 96-98. Was diese Dreizahl betrifft, so ist immerhin bemerkenswert, daß
man das vormodeme, also bis ins 18. Jahrhundert geltende (und natürlich darüber-
hinaus wirkende) Geschichtsdenken in drei Hauptgruppen einteilen kann, die
diesen Potenzen korrespondieren: in religiöse Sinngebung, politische Erfahrungs-
lehre und Erkenntnis der Geschichtlichkeit von Mensch und Gesellschaft. Ich habe
das bisher nur für die Zwecke eines Funkkollegs durchzuführen versucht u.d.T.:
Traditionen des Geschichtsdenkens, in: W. Conze, K-G. Faber und A. Nitschke
(Hg.), Funk-Kolleg Geschichte, Frankfurt 1981, Bd. 2, S. 325-347 und ausführlicher
in dem zugehörigen Studienbegleitbrief 11 des Funkkollegs Geschichte, Weinheim/
Basel 1980, S. 19-48.
 
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