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Walter Burkert
etruskischen Exemplare, soweit bisher bekannt geworden, werden dagegen erst
ins 3. und 2. Jh. v. Chr. datiert, so daß die Vermutung, es handle sich um Kon-
takte „in hellenistischer Zeit“8, nicht von vornherein auszuschließen ist. Doch
spricht die allgemeine Wahrscheinlichkeit dagegen: die große Zeit Etruriens lag
damals weit zurück, die interne Tradition der etruskischen disciplinae führt ein-
deutig bis ins 7. Jh. zurück9, gerade in die Epoche, die ihren Glanz in so vielen
orientalischen Importstücken spiegelt10. Die esoterische Familientradition der
haruspices garantierte die unveränderte Bewahrung des 'Wissens’; wenn die Lehre
je von auswärts kam, muß die Übertragung in die noch aufnahmefähige Früh-
zeit fallen.
Dies bestätigt der griechische Befund. In der alten Tradition des Homerischen
Epos hat die Hepatoskopie offenbar noch keinen Platz. Kalchas ist der „beste der
Vogelschauer“11, kraft dieser Kunst führt er das Heer. Später dagegen genießt, laut
Platon12, die Hepatoskopie größeres Prestige als die Vogelschau. Der Seher, der
die Leber untersucht, tritt in der Ikonographie seit etwa 530 auf13, die literari-
schen Quellen seit den Perserkriegen zeigen die Leberschau voll entwickelt als
herrschende Form der Mantik. In der Tat taucht bereits im 24. Buch der Ilias
und in der Odyssee der Opferschauer’ auf, ϋυοσκόος14; gewiß gibt es vielerlei
Spielarten der Mantik beim Opfer, doch die Leberschau ist weitaus die promi-
nenteste; man hat später den Namen der Etrusker, Tusci, spielerisch von ϋυοσκόοι
abgeleitet13. Man darf also mit Wahrscheinlichkeit feststellen, daß gerade in den
letzten Schichten des alten Epos die neue Technik der Opferschau bereits ein-
gedrungen ist, und wird damit wiederum in die Epoche um 700 geführt. Aufs
beste fügt sich hierzu eine Tradition, die auf Kilikien und Cypern weist: das Prie-
stergeschlecht der Tamiraden in Paphos nahm in Anspruch, diese Kunst aus Kili-
M. Rutten RA 35 (1938) 36-70; Alalah: L. Woolley, Alalakh (1955) 250-7, T. 59; Teil el
Hajj: R. A. Stucky AK 16 (1973) 84, T. 15, 2; Ugarit: Ugaritica VI (1969) 91-119, vgl.
J. C. Courtois, Μ. Dietrich, O. Loretz ib. 165-79; Hazor: B. Landsberger, H. Tadmor
Israel Expl. J. 14 (1964) 201-18; Megiddo: H. Th. Bossert, Altsyrien (1951) nr. 1193;
Cypern: BCH 95 (1971) 384 mit fig. 93a; Kadmos 11 (1972) 185f. Text aus Tarsos:
A. Goetze JAOS 59 (1939) 12-6.
8 Vgl. Pfiffig (1975) 117.
9 Die Angaben über die etruskischen saecula, Varro bei Cens. 17, geben für die ersten
vier saecula runde Zahlen (4X100), dann aber genaue Zahlen: seit etwa 600 verfügt
die etruskische disciplina über zuverlässige, auch schriftliche Tradition, vgl. Thulin III
(1909) 66; vgl. auch II 1,41.
10 -12, 18.
11 II. 1, 69. Vgl. Bouche-Leclercq I (1879) 168f.
12 PL Phdr. 244c.: τελεώτερον και έντιμότερον μαντική οίωνιστικής.
13 Van der Meer (1979); J. L. Durand, F. Lissarague, Hephaistos 1 (1979) 92-108.
14 II. 24, 221; Od. 21, 145; 22, 318-23.
15 Dion. Hal. Ant. 1, 30.
Walter Burkert
etruskischen Exemplare, soweit bisher bekannt geworden, werden dagegen erst
ins 3. und 2. Jh. v. Chr. datiert, so daß die Vermutung, es handle sich um Kon-
takte „in hellenistischer Zeit“8, nicht von vornherein auszuschließen ist. Doch
spricht die allgemeine Wahrscheinlichkeit dagegen: die große Zeit Etruriens lag
damals weit zurück, die interne Tradition der etruskischen disciplinae führt ein-
deutig bis ins 7. Jh. zurück9, gerade in die Epoche, die ihren Glanz in so vielen
orientalischen Importstücken spiegelt10. Die esoterische Familientradition der
haruspices garantierte die unveränderte Bewahrung des 'Wissens’; wenn die Lehre
je von auswärts kam, muß die Übertragung in die noch aufnahmefähige Früh-
zeit fallen.
Dies bestätigt der griechische Befund. In der alten Tradition des Homerischen
Epos hat die Hepatoskopie offenbar noch keinen Platz. Kalchas ist der „beste der
Vogelschauer“11, kraft dieser Kunst führt er das Heer. Später dagegen genießt, laut
Platon12, die Hepatoskopie größeres Prestige als die Vogelschau. Der Seher, der
die Leber untersucht, tritt in der Ikonographie seit etwa 530 auf13, die literari-
schen Quellen seit den Perserkriegen zeigen die Leberschau voll entwickelt als
herrschende Form der Mantik. In der Tat taucht bereits im 24. Buch der Ilias
und in der Odyssee der Opferschauer’ auf, ϋυοσκόος14; gewiß gibt es vielerlei
Spielarten der Mantik beim Opfer, doch die Leberschau ist weitaus die promi-
nenteste; man hat später den Namen der Etrusker, Tusci, spielerisch von ϋυοσκόοι
abgeleitet13. Man darf also mit Wahrscheinlichkeit feststellen, daß gerade in den
letzten Schichten des alten Epos die neue Technik der Opferschau bereits ein-
gedrungen ist, und wird damit wiederum in die Epoche um 700 geführt. Aufs
beste fügt sich hierzu eine Tradition, die auf Kilikien und Cypern weist: das Prie-
stergeschlecht der Tamiraden in Paphos nahm in Anspruch, diese Kunst aus Kili-
M. Rutten RA 35 (1938) 36-70; Alalah: L. Woolley, Alalakh (1955) 250-7, T. 59; Teil el
Hajj: R. A. Stucky AK 16 (1973) 84, T. 15, 2; Ugarit: Ugaritica VI (1969) 91-119, vgl.
J. C. Courtois, Μ. Dietrich, O. Loretz ib. 165-79; Hazor: B. Landsberger, H. Tadmor
Israel Expl. J. 14 (1964) 201-18; Megiddo: H. Th. Bossert, Altsyrien (1951) nr. 1193;
Cypern: BCH 95 (1971) 384 mit fig. 93a; Kadmos 11 (1972) 185f. Text aus Tarsos:
A. Goetze JAOS 59 (1939) 12-6.
8 Vgl. Pfiffig (1975) 117.
9 Die Angaben über die etruskischen saecula, Varro bei Cens. 17, geben für die ersten
vier saecula runde Zahlen (4X100), dann aber genaue Zahlen: seit etwa 600 verfügt
die etruskische disciplina über zuverlässige, auch schriftliche Tradition, vgl. Thulin III
(1909) 66; vgl. auch II 1,41.
10 -12, 18.
11 II. 1, 69. Vgl. Bouche-Leclercq I (1879) 168f.
12 PL Phdr. 244c.: τελεώτερον και έντιμότερον μαντική οίωνιστικής.
13 Van der Meer (1979); J. L. Durand, F. Lissarague, Hephaistos 1 (1979) 92-108.
14 II. 24, 221; Od. 21, 145; 22, 318-23.
15 Dion. Hal. Ant. 1, 30.