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Walter Burkert
mien durchgeführt. In Ägypten ist Wachsfiguren-Zauber gar schon im 3. Jahr-
tausend bezeugt27. Aus dem 8. Jh. liegt in diesem Fall sogar ein aramäisches
Dokument vor, so daß die vermutliche Brücke zwischen dem Zweistromland und
griechischen Bereichen für einmal sichtbar wird. Es handelt sich um eine Eides-
formel in einem internationalen Vertrag: „Wie eine Wachsfigur verbrannt wird,
so sollen ... verbrennen“. Das gleiche steht dann im 7. Jh. in einem Vertrag des
assyrischen Königs Assarhaddon mit Vasallen28. Dem entspricht der Eid der
Kyrenäer gemäß der Gründungsurkunde, die freilich kaum ein authentisches
Dokument aus dem 7. Jh. ist: „Sie formten wächserne Bilder und verbrannten
sie, wobei sie beteten, daß der, der nicht diese Eide bewahre sondern über-
träte, zerschmelzen und niederfließen sollte wie die Bilder“29. Immerhin ist die
Praxis vom Osten her gerade für die archaische Epoche gesichert, und Eides-
rituale und -formeln haben wohl eine ganz besondere Chance zur grenzüber-
schreitenden Diffusion.
Ein Name jedenfalls ist gerade im Bereich des Schadenzaubers eindeutig von
Sumer bis ins hellenisierte Ägypten und bis Karthago gelangt: Ereskigal heißt mit
sumerischem Namen die furchtbare Göttin der Unterwelt, Έρεσχιγαλ aber ist
ein Göttemame, der in den späteren Defixionen und Zauberpapyri durchaus ge-
läufig ist30. Hier liegt eine der genauesten Transkriptionen vom Sumerischen ins
Griechische vor; zufälliger Gleichklang ist bei einer so komplizierten Silbenfolge
ausgeschlossen. Allerdings scheinen bisher nur kaiserzeitliche Texte mit diesem
Namen publiziert worden zu sein; damals war die eigentliche Ausstrahlungs-
kraft Babyloniens längst erloschen. Man wird die Epoche der Entlehnung in
diesem Fall also im Unbestimmten lassen, sollte vielleicht gerade im Bereich der
Magie nicht auf zeitlicher Festlegung insistieren. Jedenfalls zeugt der Name von der
weit ausgreifenden Wirkung mesopotamischer Magie.
In diesem Zusammenhang ist noch ein weiterer Text aus Kyrene ins Auge zu
fassen: Im 4. Jh. v. Chr. wurde dort eine ausführliche Delphische Weisung über
27 2. Märchen des Papyrus Westcar, A. Erman, Die Literatur der Ägypter (1923) 66,
E. Brunner-Traut, Alt-Ägyptische Märchen (19652) 12f. - Zerstörung des Apopi, G. Roe-
der, der Ausklang der ägyptischen Religion mit Reformation, Zauberei und Jenseits-
glauben (1961) 150f. Ph. Derchain, Le papyrus Sait 825 (1965) 161f.; E. Hornung,
Altägyptische Höllenvorstellungen, Abh. Leipzig 59, 3 (1968) 27.
28 Inschriften von Seflre I A: ANET 660; KAI 222; Fitzmeyer (1967) 14f.; 16f. (I 35, 42). -
Vasallenvertrag Assarhaddons Z. 608-10, D. J. Wiseman Iraq 20 (1958) 75f.; vgl.
D. J. McCarthy, Treaty and Covenant (1963) 76f.; 204.
29 S. Ferri, Abh. Berlin 5 (1925) 19-24; SEG 9 (1944) 3; R. Meiggs, D. Lewis, A Selec-
tion of Greek Historical Inscriptions (1969) nr. 5, 44: κηρίνος πλάσσαντες κολοσος κατέ-
καιον ... Vgl. Α. D. Nock, ARW 24 (1926) 172f. Fälschung des 4. Jh. nach S. Dusanic,
Chiron 8 (1978) 55-76.
30 PGM 2, 34; 339; 1419; 2485; 2750; 2912; 5, 340; 425; 7, 317; 985; 13, 923; 70 etc. Auch
auf Defixionstafeln und magischen Gemmen. Vgl. Drexler RML II 1584-7.
Walter Burkert
mien durchgeführt. In Ägypten ist Wachsfiguren-Zauber gar schon im 3. Jahr-
tausend bezeugt27. Aus dem 8. Jh. liegt in diesem Fall sogar ein aramäisches
Dokument vor, so daß die vermutliche Brücke zwischen dem Zweistromland und
griechischen Bereichen für einmal sichtbar wird. Es handelt sich um eine Eides-
formel in einem internationalen Vertrag: „Wie eine Wachsfigur verbrannt wird,
so sollen ... verbrennen“. Das gleiche steht dann im 7. Jh. in einem Vertrag des
assyrischen Königs Assarhaddon mit Vasallen28. Dem entspricht der Eid der
Kyrenäer gemäß der Gründungsurkunde, die freilich kaum ein authentisches
Dokument aus dem 7. Jh. ist: „Sie formten wächserne Bilder und verbrannten
sie, wobei sie beteten, daß der, der nicht diese Eide bewahre sondern über-
träte, zerschmelzen und niederfließen sollte wie die Bilder“29. Immerhin ist die
Praxis vom Osten her gerade für die archaische Epoche gesichert, und Eides-
rituale und -formeln haben wohl eine ganz besondere Chance zur grenzüber-
schreitenden Diffusion.
Ein Name jedenfalls ist gerade im Bereich des Schadenzaubers eindeutig von
Sumer bis ins hellenisierte Ägypten und bis Karthago gelangt: Ereskigal heißt mit
sumerischem Namen die furchtbare Göttin der Unterwelt, Έρεσχιγαλ aber ist
ein Göttemame, der in den späteren Defixionen und Zauberpapyri durchaus ge-
läufig ist30. Hier liegt eine der genauesten Transkriptionen vom Sumerischen ins
Griechische vor; zufälliger Gleichklang ist bei einer so komplizierten Silbenfolge
ausgeschlossen. Allerdings scheinen bisher nur kaiserzeitliche Texte mit diesem
Namen publiziert worden zu sein; damals war die eigentliche Ausstrahlungs-
kraft Babyloniens längst erloschen. Man wird die Epoche der Entlehnung in
diesem Fall also im Unbestimmten lassen, sollte vielleicht gerade im Bereich der
Magie nicht auf zeitlicher Festlegung insistieren. Jedenfalls zeugt der Name von der
weit ausgreifenden Wirkung mesopotamischer Magie.
In diesem Zusammenhang ist noch ein weiterer Text aus Kyrene ins Auge zu
fassen: Im 4. Jh. v. Chr. wurde dort eine ausführliche Delphische Weisung über
27 2. Märchen des Papyrus Westcar, A. Erman, Die Literatur der Ägypter (1923) 66,
E. Brunner-Traut, Alt-Ägyptische Märchen (19652) 12f. - Zerstörung des Apopi, G. Roe-
der, der Ausklang der ägyptischen Religion mit Reformation, Zauberei und Jenseits-
glauben (1961) 150f. Ph. Derchain, Le papyrus Sait 825 (1965) 161f.; E. Hornung,
Altägyptische Höllenvorstellungen, Abh. Leipzig 59, 3 (1968) 27.
28 Inschriften von Seflre I A: ANET 660; KAI 222; Fitzmeyer (1967) 14f.; 16f. (I 35, 42). -
Vasallenvertrag Assarhaddons Z. 608-10, D. J. Wiseman Iraq 20 (1958) 75f.; vgl.
D. J. McCarthy, Treaty and Covenant (1963) 76f.; 204.
29 S. Ferri, Abh. Berlin 5 (1925) 19-24; SEG 9 (1944) 3; R. Meiggs, D. Lewis, A Selec-
tion of Greek Historical Inscriptions (1969) nr. 5, 44: κηρίνος πλάσσαντες κολοσος κατέ-
καιον ... Vgl. Α. D. Nock, ARW 24 (1926) 172f. Fälschung des 4. Jh. nach S. Dusanic,
Chiron 8 (1978) 55-76.
30 PGM 2, 34; 339; 1419; 2485; 2750; 2912; 5, 340; 425; 7, 317; 985; 13, 923; 70 etc. Auch
auf Defixionstafeln und magischen Gemmen. Vgl. Drexler RML II 1584-7.