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Eberhard Jüngel
rechtfertigende Glaube ist233, der als solcher den ganzen Menschen
betrifft.
Doch gerade der Bezug auf die Ganzheit des Menschen wurde durch
die Unterscheidung von Erkenntnisakt und Willensakt fortlaufend pro-
blematisiert. Denn die Ganzheit des ganzen Menschen kommt theolo-
gisch ja nicht additiv als die Summe aller Teile in Betracht: sie kann sich
also nicht aus der Addition von Erkenntnisakt und Willensakt auf-
bauen. Der Glaubensbegriff muß deshalb so gefaßt sein, daß umge-
kehrt von der im Glauben allererst zu gewinnenden Ganzheit des gan-
zen Menschen her dann auch differenzierend der Erkenntnisakt und
der Willensakt des Glaubenden thematisch gemacht werden kann. Die
orthodoxe Theologie hat das auf ihre Weise zwar auch auszudrücken
versucht, wenn sie die als Willensakt verstandene fiducia vor dem Miß-
verständnis bewahren will, als sei die fiducia ein Erzeugnis unseres Wil-
lens. Sie ist deshalb ausdrücklich negativ als „non nostrae voluntatis
donum“ und positiv im Anschluß an Gal 3,23-25 als „fides adventitia“
gekennzeichnet worden234. Ja, der Willensakt kann geradezu als ein
Ruhen des Willens in dem ihm gegenwärtigen Gut beschrieben
werden235. Aber solange der Glaube in der Differenz von Erkenntnisakt
und Willensakt begriffen wird, bleibt die Ganzheit des ganzen Men-
schen ungedacht, oder doch unangemessen gedacht.
Es war das große Verdienst Schleiermachers, den Glauben in seiner
die Ganzheit des Menschen konstituierenden Funktion existentialon-
tologisch thematisch gemacht zu haben, indem er ihn als „eine
Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewußtseins“
begriff, des Gefühls, das er mit H. Steffens als „unmittelbare Gegen-
wart des ganzen ungeteilten Daseins“ verstanden wissen wollte236.
Doch insofern „Gott ... uns ... im Gefühl auf eine ursprüngliche
Weise“ gegeben sein soll237, bleibt noch immer ungedacht, daß die
233 D. Hollatz, aaO., q. 14; 301: „... cognitio CHRISTI est fides justifica et salvifica“.
234 A. Quenstedt, Theologia didactico-polemica, P. IV, c. VIII, sect. I, thes. II,31696,
281.
235 D. Hollatz, aaO., q. 16, 306: „Est ...fiducia formaliter acquiescentia voluntatis in
bono aliquo praesente ... Quo sensu Philippus Melanchthon . ..fiduciam describit,
quod ea voluntas acquiescat in promissione misericordiae propter Mediatorem
donatae“.
236 F. Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen
Kirche im Zusammenhänge dargestellt, hg. von M. Redeker,71960, Bd. 1, § 3 und
3,2, 14 und 17.
237 F. Schleiermacher, aaO., § 4,4, 30.
Eberhard Jüngel
rechtfertigende Glaube ist233, der als solcher den ganzen Menschen
betrifft.
Doch gerade der Bezug auf die Ganzheit des Menschen wurde durch
die Unterscheidung von Erkenntnisakt und Willensakt fortlaufend pro-
blematisiert. Denn die Ganzheit des ganzen Menschen kommt theolo-
gisch ja nicht additiv als die Summe aller Teile in Betracht: sie kann sich
also nicht aus der Addition von Erkenntnisakt und Willensakt auf-
bauen. Der Glaubensbegriff muß deshalb so gefaßt sein, daß umge-
kehrt von der im Glauben allererst zu gewinnenden Ganzheit des gan-
zen Menschen her dann auch differenzierend der Erkenntnisakt und
der Willensakt des Glaubenden thematisch gemacht werden kann. Die
orthodoxe Theologie hat das auf ihre Weise zwar auch auszudrücken
versucht, wenn sie die als Willensakt verstandene fiducia vor dem Miß-
verständnis bewahren will, als sei die fiducia ein Erzeugnis unseres Wil-
lens. Sie ist deshalb ausdrücklich negativ als „non nostrae voluntatis
donum“ und positiv im Anschluß an Gal 3,23-25 als „fides adventitia“
gekennzeichnet worden234. Ja, der Willensakt kann geradezu als ein
Ruhen des Willens in dem ihm gegenwärtigen Gut beschrieben
werden235. Aber solange der Glaube in der Differenz von Erkenntnisakt
und Willensakt begriffen wird, bleibt die Ganzheit des ganzen Men-
schen ungedacht, oder doch unangemessen gedacht.
Es war das große Verdienst Schleiermachers, den Glauben in seiner
die Ganzheit des Menschen konstituierenden Funktion existentialon-
tologisch thematisch gemacht zu haben, indem er ihn als „eine
Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewußtseins“
begriff, des Gefühls, das er mit H. Steffens als „unmittelbare Gegen-
wart des ganzen ungeteilten Daseins“ verstanden wissen wollte236.
Doch insofern „Gott ... uns ... im Gefühl auf eine ursprüngliche
Weise“ gegeben sein soll237, bleibt noch immer ungedacht, daß die
233 D. Hollatz, aaO., q. 14; 301: „... cognitio CHRISTI est fides justifica et salvifica“.
234 A. Quenstedt, Theologia didactico-polemica, P. IV, c. VIII, sect. I, thes. II,31696,
281.
235 D. Hollatz, aaO., q. 16, 306: „Est ...fiducia formaliter acquiescentia voluntatis in
bono aliquo praesente ... Quo sensu Philippus Melanchthon . ..fiduciam describit,
quod ea voluntas acquiescat in promissione misericordiae propter Mediatorem
donatae“.
236 F. Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen
Kirche im Zusammenhänge dargestellt, hg. von M. Redeker,71960, Bd. 1, § 3 und
3,2, 14 und 17.
237 F. Schleiermacher, aaO., § 4,4, 30.