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Eberhard Jüngel
Im Herzen steht der ganze Mensch aber deshalb zur Entscheidung,
weil er in diesem Innen seiner Existenz von außen auf sich selbst ange-
sprochen wird: was das Herz angeht, geht uns unbedingt an. Und dies
wiederum so, daß das ansprechende Außen zu dem existentialen Ort
werden kann, an dem der Mensch zu sich selbst kommt. Auch diese
Verschränkung von extra nos und in nobis wird durch den Begriff des
neuen Sich-selbst-Verstehens zur Geltung gebracht, insofern dieses
nicht nur im Verstehen der Offenbarung Gottes seinen Grund hat, son-
dern als „ein sich Bestimmenlassen durch das Erkannte“ zugleich „ein
Sein im Erkannten“ ist240. Der Gegenstandsbezug des Glaubens bleibt
gewahrt, ohne daß der Glaube als fides subjectiva und fides objectiva in
ein ereignisloses Gegenüber auseinandertritt.
Im Begriff des Selbstverständnisses ist mit dem gleichursprüngli-
chen Verstehen seiner selbst und Gottes zudem als Grund dieses Ver-
stehens ein Sich-von-Gott-verstanden-und-immer-schon-besser-ver-
standen-Wissen (im Sinne des yvwoüfivai wd toü üeob) mitgesetzt.
Insofern nimmt der Begriff des neuen Sich-selbst-Verstehens dem
Glauben den Anschein eines ÜEwpeiv, ohne seine Wahrheitsfähigkeit
zu problematisieren. Er konstituiert die ihn „ausbildende“ Theologie
bereits in jedem ihrer Sätze und Begriffe „und nicht erst etwa nachträg-
lich auf Grund sogenannter praktischer 'Anwendung’“241 als praktische
Wissenschaft, deren Praxis nicht das menschliche Wirken, sondern ein
das Wirken Gottes bejahendes Verstehen ist.
Bultmanns Bestimmung des Glaubensbegriffs vermag schließlich -
man könnte auch sagen: zuerst und vor allem - deutlich zu machen,
daß der Glaube als Annahme des Kerygmas von Jesus als dem Christus
die Existenz des Glaubenden zu einer von diesem Wort geprägten Exi-
stenz macht. Bringt der Begriff des Sich-selbst-neu-Verstehens zum
Ausdruck, daß der Glaubende mit diesem Wort zugleich sich selbst
versteht, dann wird damit zur Geltung gebracht, daß der ganze Mensch
ein Wesen des Wortes ist. Und es wird begrifflich artikulierbar, daß der
Glaubende seine Ganzheit aus dem ihn in seinem Herzen treffenden
und ihn aus sich herausrufenden Wort bezieht242. Die unselige Altema-
240 R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, hg. von 0. Merk, 81980, 431.
241 M. Heidegger, Phänomenologie und Theologie, in: Wegmarken, Gesamtausgabe 9,
1976, 45-78, 56.
242 Bultmann verhandelt demgemäß auch den Gegensatz der Theologie zu den ande-
ren Wissenschaften unter dem Aspekt der Ganzheit des Daseins, nun freilich unter
dem Aspekt des Wissens um die Ganzheit. Zwar beansprucht nach seinem Urteil
jede wissenschaftliche „Betrachtungsweise, die naturwissenschaftliche, die
Eberhard Jüngel
Im Herzen steht der ganze Mensch aber deshalb zur Entscheidung,
weil er in diesem Innen seiner Existenz von außen auf sich selbst ange-
sprochen wird: was das Herz angeht, geht uns unbedingt an. Und dies
wiederum so, daß das ansprechende Außen zu dem existentialen Ort
werden kann, an dem der Mensch zu sich selbst kommt. Auch diese
Verschränkung von extra nos und in nobis wird durch den Begriff des
neuen Sich-selbst-Verstehens zur Geltung gebracht, insofern dieses
nicht nur im Verstehen der Offenbarung Gottes seinen Grund hat, son-
dern als „ein sich Bestimmenlassen durch das Erkannte“ zugleich „ein
Sein im Erkannten“ ist240. Der Gegenstandsbezug des Glaubens bleibt
gewahrt, ohne daß der Glaube als fides subjectiva und fides objectiva in
ein ereignisloses Gegenüber auseinandertritt.
Im Begriff des Selbstverständnisses ist mit dem gleichursprüngli-
chen Verstehen seiner selbst und Gottes zudem als Grund dieses Ver-
stehens ein Sich-von-Gott-verstanden-und-immer-schon-besser-ver-
standen-Wissen (im Sinne des yvwoüfivai wd toü üeob) mitgesetzt.
Insofern nimmt der Begriff des neuen Sich-selbst-Verstehens dem
Glauben den Anschein eines ÜEwpeiv, ohne seine Wahrheitsfähigkeit
zu problematisieren. Er konstituiert die ihn „ausbildende“ Theologie
bereits in jedem ihrer Sätze und Begriffe „und nicht erst etwa nachträg-
lich auf Grund sogenannter praktischer 'Anwendung’“241 als praktische
Wissenschaft, deren Praxis nicht das menschliche Wirken, sondern ein
das Wirken Gottes bejahendes Verstehen ist.
Bultmanns Bestimmung des Glaubensbegriffs vermag schließlich -
man könnte auch sagen: zuerst und vor allem - deutlich zu machen,
daß der Glaube als Annahme des Kerygmas von Jesus als dem Christus
die Existenz des Glaubenden zu einer von diesem Wort geprägten Exi-
stenz macht. Bringt der Begriff des Sich-selbst-neu-Verstehens zum
Ausdruck, daß der Glaubende mit diesem Wort zugleich sich selbst
versteht, dann wird damit zur Geltung gebracht, daß der ganze Mensch
ein Wesen des Wortes ist. Und es wird begrifflich artikulierbar, daß der
Glaubende seine Ganzheit aus dem ihn in seinem Herzen treffenden
und ihn aus sich herausrufenden Wort bezieht242. Die unselige Altema-
240 R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, hg. von 0. Merk, 81980, 431.
241 M. Heidegger, Phänomenologie und Theologie, in: Wegmarken, Gesamtausgabe 9,
1976, 45-78, 56.
242 Bultmann verhandelt demgemäß auch den Gegensatz der Theologie zu den ande-
ren Wissenschaften unter dem Aspekt der Ganzheit des Daseins, nun freilich unter
dem Aspekt des Wissens um die Ganzheit. Zwar beansprucht nach seinem Urteil
jede wissenschaftliche „Betrachtungsweise, die naturwissenschaftliche, die