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Geyer, Dietrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 2. Abhandlung): Klio in Moskau und die sowjetische Geschichte: vorgetragen am 27. Okt. 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47816#0026
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Dietrich Geyer

Ort überlassen. Vollends die gedruckte Geschichte, die in nichtrussi-
schen Sprachen erscheint, kann in der Zentrale nicht oder doch nur
oberflächlich zur Kenntnis genommen werden. In den maßgebenden
historischen Zeitschriften findet die historiographische Produktion, die
in den Republiken entsteht, vergleichsweise wenig Beachtung. Der
Erfassung und Verarbeitung stehen allein die quantitativen Dimensio-
nen dieser Produktion entgegen. Ähnlich schwierig gestaltet sich die
Steuerung in personeller Beziehung. Zu Anfang der achtziger Jahre
gab es in der Sowjetunion an Forschungsinstituten, Universitäten und
Hochschulen über 30.000 hauptberuflich tätige Historiker, unter ihnen
etwa 14.000 Promovierte (kandidaty istoriceskich nauk) und 2.500
Habilitierte (doktora istoriceskich nauk}. 30 bis 35 Prozent von ihnen
arbeiteten in Moskau oder waren durch ihre Arbeit mit den zentralen
Einrichtungen der Hauptstadt unmittelbar verbunden.51 52
In diesem gewaltigen Forschungsbetrieb entsteht ein erheblicher
Überhang an Arbeitsbelastung durch den Zyklus termingebundener
Planung und durch den mehr oder minder energischen Versuch, die
veranschlagten Fristen einzuhalten. Der Legitimationsdruck, den der
Zwang zur Rechenschaft über erbrachte und nichterbrachte Leistun-
gen ausübt, ist für die ohnehin überlasteten Institutsdirektoren und für
die Leiter der Forschungssektionen nicht gering. Freilich ist auch das
Vermögen, solchen Zwängen zu entkommen, zu bisweilen erstaunli-
cher Virtuosität gediehen.32
1984 ging es in den historischen Instituten um die Vorbereitung der
Entwürfe für den 1986 beginnenden XII. Fünfjahresplan, dazu um die
Festlegung der „Entwicklungskoeffizienten“ bis zur Jahrtausend-
51 Für 1974 werden 11.700 Kandidaten und 1.700 Doktoren der historischen Wissen-
schaften genannt: Narodnoe chozjajstvo SSSR v 1974 g. Statisticeskij ezegodnik,
Moskau 1975, S. 144. Die höheren Angaben beruhen auf einer Schätzung nach den
Daten der Zentralen Attestationskommission, vgl. Anm. 57. - Einen Berufsverband
der Historiker, vergleichbar etwa der American Historical Association oder der
Historikergesellschaft der DDR, gibt es in der UdSSR bisher nicht. Seit 1984 besteht
eine Kommission, die die Gründung einer „Allunions-Gesellschaft der Historiker“
(Vsesojuznoe obscestvo istorikov) vorbereiten soll, vgl. Voprosy istorii 1984/6, S.
118.
52 Außer den in Anm. 7 genannten großen Rechenschaftsberichten über die Entwik-
klung der Vaterländischen Geschichte zwischen den Parteitagen der KPdSU vgl. zur
Forschungsplanung im Rahmen der Fünfjahresplanperioden: B. B. Piotrovskij, A.
V. Tiskov, Itogi issledovanij sovetskich istorikov v desjatoj pjatiletke, in: Voprosy
istorii 1981/2, S. 3-25, Osnovnye napravlenija istoriceskich issledovanij v XI pjati-
letke v svete resenij XXVI s-ezda KPSS, in: Ebd., 1981/10, S. 3-10.
 
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