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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0026
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Ernst A. Schmidt

Tempussystem, die Wahrnehmungs- und Erkenntnislehre sowie die
Verbindung der drei Zeiten mit drei Erkenntnisweisen der Seele in der
auf Aristoteles zurückgehenden Erinnerungslehre3'.
(2) Die zweite Kritik Duchrows am ersten Hauptstück der augusti-
nischen Zeitlehre besagt, daß die ontologische Zeitanalyse die Nichtig-
keit von objektiver Vergangenheit und Zukunft lehre38 und damit die
heilsgeschichtliche Zeit, also Christi Tod und das zukünftige Heil,
zunichte mache. Diese Kritik erhellt besonders klar die unangemesse-
nen (weil unbefragt zeitgenössischen Interessen und Denkgewohn-
heiten entstammenden) Erwartungen gegenüber Augustin und wird
ein Wegweiser zum behutsameren Aufspüren seiner Intentionen. Wie
kann man einem Werk gegenüber, das in neun Büchern von der Ver-
gangenheit des Bekennenden spricht und das sich in drei Büchern der
Umgekehrt gilt aber, daß bei der Einführung der Vorstellung in conf. 11, 23, 30
„distentio“ noch nicht die ganze augustinische Bedeutungsfülle von „fragmentation
and dispersal“ (O’Daly, Distentio, S. 266) besitzt. Wenn Augustin im Kontext von
Zeitmessung auf die erneut gestellte Frage „quid sit tempus“ (p. 284,25 sq.) und im
Anschluß an Formulierungen wie „tempus ibat“ und „spatium temporis“ (p.
285,8 sq.) zu der Feststellung kommt: „Video igitur tempus quandam esse distentio-
nem“ (p. 285,10 sq.), kann „distentio“ nur „Ausdehnung“, nicht „Zerstreuung“ hei-
ßen. Das gleiche gilt für conf. 11, 26, 33 (p. 287,21-33): es macht keinen Sinn, bei
„inde mihi Visum est nihil esse aliud tempus quam distentionem“ die Bedeutung
„Zerstreuung“ einzusetzen und dann Augustin fragen zu lassen: „sed cuius rei, nes-
cio, et mirum, si non ipsius animi“ (,aber was hier zerstreut ist, weiß ich nicht, und
ich frage mich, ob es nicht die Seele selbst ist‘). Vgl. auch conf. 12,15, 22 (p. 307,21
sq.): „omnem distentionem et omne spatium aetatis volubile“ und die Belege von
„tendere“ und „extendere“ im Kontext ausgedehnter Zeit, von „spatium“, „mora“,
„distentio“ (z.B. p. 273,4 sq.; p. 278,2; p. 287,16; p. 288,14 sq.; p. 289,1; p. 291,17-22).
Ich plädiere also gegen O’Daly für Augustins Übernahme, Umdeutung und Auf-
ladung eines traditionellen und allgemein vertrauten Elements in philosophischen
Zeitdefinitionen, sowie dafür, daß „distentio animi“ doch auch so etwas wie eine
Definition von Zeit sein soll.
Die zeitliche „distentio animi“ in ihrer Relation zu der Ausdehnung, die die objek-
tive Zeit hat, findet bis zu einem gewissen Grad ihre Analogie in der Vorstellung
räumlicher Ausdehnung („quidquid per aliquanta spatia tenditur“); die „intentio“,
die solche „imagines“ ausgedehnter Körper schafft, ist selbst nicht in dieser Weise
ausgedehnt, aber dennoch etwas, das eine bestimmte Größe hat („est magnum ali-
quid“), für das also ebenfalls metaphorisch ein „tendi“ gilt (vgl. conf. 7, 1, 2).
37 Vgl. auch trin. 14,11,14 (CCL 50A, ed. Mountain - Glorie 1968, p. 441,4 sqq.): „Tul-
lius (cf. invent. 2,53,160) in tria ista prudentiam divis(it), memoriam, intellegentiam,
providentiam: memoriam scilicet praeteritis, intellegentiam praesentibus, provi-
dentiam rebus tribuen(s) futuris“.
38 Dieser Feststellung entspräche (mit nicht geringerer Berechtigung) der analoge
Vorwurf gegenüber Husserls Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins.
 
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