12
Peter Anselm Riedl
Abb. 10,11
Das gilt vor allem von jenem „Maestä“-Retabel in der Sieneser
Pinakothek, welches aus der letzten Schaffensphase Giovanni di Pao-
los stammt, mindestens teilweise als Gesellenarbeit zu bewerten ist
und zudem in einer problematischen Form auf uns gekommen ist6.
Die krönende Lünette kann aus zwei Gründen kaum zur Haupttafel
gehören: Sie wiederholt die Szene, die in den Zwickeln darunter schon
einmal verbildlicht ist - nämlich die Verkündigung -, und sie hat eine
Einfassung, die ganz und gar nicht mit der übrigen Rahmenarchitektur
harmoniert. Es gibt noch andere Indizien, die dafür sprechen, daß das
Retabel, so wie es sich heute darbietet, ein Pasticcio ist. Allerdings ist
zuzugeben, daß Lünette und Haupttafel Produkte der gleichen Hand
(oder zumindest Werkstatt) und der gleichen Stilphase sind. Nament-
lich an der Haupttafel fällt eine eigentümliche Widersprüchlichkeit
auf: Die Tendenz zur Vereinheitlichung der Figurenkomposition wird
von stark altertümelnden Momenten überlagert; ähnlich wie auf der
wahrscheinlich 1475 entstandenen, heute gleichfalls in der Sieneser
Pinakothek bewahrten „Pala di Staggia“7 (die allerdings der herkömm-
lichen Polyptychenformel folgt) wirkt die Malerei manieriert-verhärtet.
Am anmutigsten ist die auf die Zwickel über der Maestä verteilte Ver-
kündigungsszene. In einem etwas abenteuerlich perspektivierten
Architekturprospekt, durch dessen Öffnungen der Blick in eine Land-
schaft gleitet, zeigen sich der Engel und die heilige Jungfrau in Haltun-
gen und Gewandungen, die durchaus an die Formulierungen des
Heidelberger Tafelpaares erinnern. Es seien nur einige der Über-
einstimmungen oder Ähnlichkeiten aufgezählt: die Profilposition und
die Gesten des Engels, die Querung der hängenden Flügel durch einen
kurvend flatternden Umhang, der Stoffstau über dem zurückgestellten
Fuß, die gesamte Haltung der Maria, die falsch verkürzte Sitzbank mit
der charakteristischen Anordnung der Profile und Füllungen. Als sinn-
fälligster Unterschied ist die trockenere, malerisch ärmere Ausführung
der Sieneser Variante hervorzuheben. Die Verkündigung der „Maestä“
mutet wie eine härtere und unpoetischere Paraphrase unseres Refe-
renzstückes an. Auch die Figuren der zweiten Verkündigungsszene im
Lünettenaufsatz lassen sich in einigen Punkten zum Vergleich her-
anziehen, bleiben aber im ganzen der hier interessierenden Fassung
ferner.
6
Piero Torriti, a.a.O., S. 336f. (mit Bibliographie).
Ebenda, S. 338ff. (mit Bibliographie).
Peter Anselm Riedl
Abb. 10,11
Das gilt vor allem von jenem „Maestä“-Retabel in der Sieneser
Pinakothek, welches aus der letzten Schaffensphase Giovanni di Pao-
los stammt, mindestens teilweise als Gesellenarbeit zu bewerten ist
und zudem in einer problematischen Form auf uns gekommen ist6.
Die krönende Lünette kann aus zwei Gründen kaum zur Haupttafel
gehören: Sie wiederholt die Szene, die in den Zwickeln darunter schon
einmal verbildlicht ist - nämlich die Verkündigung -, und sie hat eine
Einfassung, die ganz und gar nicht mit der übrigen Rahmenarchitektur
harmoniert. Es gibt noch andere Indizien, die dafür sprechen, daß das
Retabel, so wie es sich heute darbietet, ein Pasticcio ist. Allerdings ist
zuzugeben, daß Lünette und Haupttafel Produkte der gleichen Hand
(oder zumindest Werkstatt) und der gleichen Stilphase sind. Nament-
lich an der Haupttafel fällt eine eigentümliche Widersprüchlichkeit
auf: Die Tendenz zur Vereinheitlichung der Figurenkomposition wird
von stark altertümelnden Momenten überlagert; ähnlich wie auf der
wahrscheinlich 1475 entstandenen, heute gleichfalls in der Sieneser
Pinakothek bewahrten „Pala di Staggia“7 (die allerdings der herkömm-
lichen Polyptychenformel folgt) wirkt die Malerei manieriert-verhärtet.
Am anmutigsten ist die auf die Zwickel über der Maestä verteilte Ver-
kündigungsszene. In einem etwas abenteuerlich perspektivierten
Architekturprospekt, durch dessen Öffnungen der Blick in eine Land-
schaft gleitet, zeigen sich der Engel und die heilige Jungfrau in Haltun-
gen und Gewandungen, die durchaus an die Formulierungen des
Heidelberger Tafelpaares erinnern. Es seien nur einige der Über-
einstimmungen oder Ähnlichkeiten aufgezählt: die Profilposition und
die Gesten des Engels, die Querung der hängenden Flügel durch einen
kurvend flatternden Umhang, der Stoffstau über dem zurückgestellten
Fuß, die gesamte Haltung der Maria, die falsch verkürzte Sitzbank mit
der charakteristischen Anordnung der Profile und Füllungen. Als sinn-
fälligster Unterschied ist die trockenere, malerisch ärmere Ausführung
der Sieneser Variante hervorzuheben. Die Verkündigung der „Maestä“
mutet wie eine härtere und unpoetischere Paraphrase unseres Refe-
renzstückes an. Auch die Figuren der zweiten Verkündigungsszene im
Lünettenaufsatz lassen sich in einigen Punkten zum Vergleich her-
anziehen, bleiben aber im ganzen der hier interessierenden Fassung
ferner.
6
Piero Torriti, a.a.O., S. 336f. (mit Bibliographie).
Ebenda, S. 338ff. (mit Bibliographie).