Eine wiederentdeckte „Verkündigung Mariä4
15
Drapierungsprinzip wie der Mantel der Annunziata. Auf dem Biccher-
natäfelchen von 1445 in der Vatikanischen Pinakothek13 ist die Ver-
kündigungsszene zwar ganz anders arrangiert als auf unseren Tafeln,
doch sind das labile Sitzen der Maria und die blockförmige, fehl-
perspektivierte Bank aussagekräftige Indizien für einen kunst-
geschichtlichen Zusammenhang.
Aus dem bisher Ausgeführten sei eine erste These abgeleitet: Die
beiden Verkündigungstafeln stehen stilistisch Werken des Giovanni di
Paolo aus den Jahren um und nach der Quattrocentomitte derart nahe,
daß sich Folgerungen im Hinblick auf Autorschaft und Entstehungs-
zeit anbieten.
Diese These bedarf der Verdeutlichung durch ausführlichere Infor-
mationen über den Künstler und der Präzisierung durch nähere Ein-
grenzung der möglichen Funktion der Tafeln. Man wird hier natürlich
keine erschöpfende Auskunft über den Meister erwarten dürfen, den
Bemard Berenson als den „Greco des Quattrocento“ bezeichnet hat,
dem der dreiundzwanzigjährige John Pope-Hennessy sein Erstlings-
werk widmete, über den Cesare Brandi eine Monographie schrieb und
der außerdem Gegenstand einer sehr großen Zahl von Einzelunter-
suchungen war und ist14. Giovanni di Paolo mag weniger populär sein
als sein Altersgenosse Stefano di Giovanni, genannt Sassetta, oder als
der um eine Generation jüngere, vielseitige Francesco di Giorgio. Er
ist gleichwohl eine der faszinierendsten Malerpersönlichkeiten des
fünfzehnten Jahrhunderts und einer jener Künstler, in deren Oeuvre
sich stilistischer Beharrungswille und eigensinniges Bemühen um
neue Möglichkeiten produktiv versöhnen.
In das Blickfeld der Öffentlichkeit ist Giovanni di Paolo in den letz-
ten Jahren zweimal getreten: einmal anläßlich des spektakulären Ver-
kaufs der Madonnentafel aus der früheren Frankfurter Sammlung
Hirsch an das Norton Simon Museum in Pasadena15, zum zweiten Mal
anläßlich der sehr geglückten Restaurierung der Tafel mit der von zehn
Engeln umringten Madonna in Ss. Giusto e Clemente in Castelnuovo
13 Vgl. L. Borgia, E. Carli und andere Autoren: Le Biccherne, Rom 1984, S. 152f.
14 Vgl. Anm. 5; Bernhard Berenson: Italian Pictures ofthe Renaissance, Oxford 1932,
S. 244: “This ‘Greco’ of the Quattrocento must have been in touch with Contempo-
rary Byzantine painting”. Diese Charakterisierung wird noch wiederholt in der
Ausgabe: Italian Pictures of the Renaissance, Central Italian and North Italian
Schools, London 1968, Band I, S. 175.
15 Vgl. John Pope-Hennessy, a.a.O., 1937, besonders S. 9ff.; Cesare Brandi, a.a.O.,
1947, S. 10.
15
Drapierungsprinzip wie der Mantel der Annunziata. Auf dem Biccher-
natäfelchen von 1445 in der Vatikanischen Pinakothek13 ist die Ver-
kündigungsszene zwar ganz anders arrangiert als auf unseren Tafeln,
doch sind das labile Sitzen der Maria und die blockförmige, fehl-
perspektivierte Bank aussagekräftige Indizien für einen kunst-
geschichtlichen Zusammenhang.
Aus dem bisher Ausgeführten sei eine erste These abgeleitet: Die
beiden Verkündigungstafeln stehen stilistisch Werken des Giovanni di
Paolo aus den Jahren um und nach der Quattrocentomitte derart nahe,
daß sich Folgerungen im Hinblick auf Autorschaft und Entstehungs-
zeit anbieten.
Diese These bedarf der Verdeutlichung durch ausführlichere Infor-
mationen über den Künstler und der Präzisierung durch nähere Ein-
grenzung der möglichen Funktion der Tafeln. Man wird hier natürlich
keine erschöpfende Auskunft über den Meister erwarten dürfen, den
Bemard Berenson als den „Greco des Quattrocento“ bezeichnet hat,
dem der dreiundzwanzigjährige John Pope-Hennessy sein Erstlings-
werk widmete, über den Cesare Brandi eine Monographie schrieb und
der außerdem Gegenstand einer sehr großen Zahl von Einzelunter-
suchungen war und ist14. Giovanni di Paolo mag weniger populär sein
als sein Altersgenosse Stefano di Giovanni, genannt Sassetta, oder als
der um eine Generation jüngere, vielseitige Francesco di Giorgio. Er
ist gleichwohl eine der faszinierendsten Malerpersönlichkeiten des
fünfzehnten Jahrhunderts und einer jener Künstler, in deren Oeuvre
sich stilistischer Beharrungswille und eigensinniges Bemühen um
neue Möglichkeiten produktiv versöhnen.
In das Blickfeld der Öffentlichkeit ist Giovanni di Paolo in den letz-
ten Jahren zweimal getreten: einmal anläßlich des spektakulären Ver-
kaufs der Madonnentafel aus der früheren Frankfurter Sammlung
Hirsch an das Norton Simon Museum in Pasadena15, zum zweiten Mal
anläßlich der sehr geglückten Restaurierung der Tafel mit der von zehn
Engeln umringten Madonna in Ss. Giusto e Clemente in Castelnuovo
13 Vgl. L. Borgia, E. Carli und andere Autoren: Le Biccherne, Rom 1984, S. 152f.
14 Vgl. Anm. 5; Bernhard Berenson: Italian Pictures ofthe Renaissance, Oxford 1932,
S. 244: “This ‘Greco’ of the Quattrocento must have been in touch with Contempo-
rary Byzantine painting”. Diese Charakterisierung wird noch wiederholt in der
Ausgabe: Italian Pictures of the Renaissance, Central Italian and North Italian
Schools, London 1968, Band I, S. 175.
15 Vgl. John Pope-Hennessy, a.a.O., 1937, besonders S. 9ff.; Cesare Brandi, a.a.O.,
1947, S. 10.