16
Peter Anselm Riedl
Berardegna bei Siena16. Beide Werke sind frühe Arbeiten des um 1400
- vielleicht 1403 - geborenen Künstlers, die erstgenannte 1427, die
zweite 1426 datiert; beide waren sie ursprünglich Kernstücke vielteili-
ger Retabel, nämlich des Branchini- und des Pecci-Altars, in der Siene-
ser Bettelordenskirche S. Domenico. Giovannis - selbst für siene-
sische Begriffe außerordentliche - dekorative Phantasie kommt in
ihnen ebenso zur Geltung wie seine Fähigkeit, die darzustellenden
sakralen Figuren oder Begebenheiten in ein poetisches Fluidum zu
tauchen. Die Linien- und Omamentseligkeit der Internationalen Gotik
beflügelt den jungen Meister zu Bilderfindungen, die einerseits durch
verschwenderischen Reichtum, andererseits durch die Intensität des
Ausdrucks bestricken; eines Ausdrucks, der in den beiden Marien-
tafeln mehr auf Innerlichkeit als auf Pathos setzt, sich in den Predellen-
tafeln dagegen zu dramatischem Emst und erzählerischer Lebhaftig-
keit steigert. Es ist hier nicht der Ort, der gerade in letzter Zeit erneut
diskutierten, schwierigen Frage der Vorbilder Giovannis nachzu-
gehen. Fest steht, daß der Künstler ausgiebig den Fundus der Sieneser
Malerei von Duccio über Simone Martini, die Brüder Lorenzetti und
Giovanni di Paolo Fei bis zu Taddeo die Bartolo studiert hat, daß er
sich 1426 von dem damals in Siena arbeitenden Gentile da Fabriano
beeindrucken ließ, daß er später Anregungen von Seiten Sassettas,
Domenico di Bartolos und anderer Generationsgenossen aufnahm.
Die starke Affinität zur heimischen Trecentomalerei äußert sich aller-
dings nicht im Sinne einer individualitätshemmenden Abhängigkeit,
wie sie sonst gelegentlich bei sienesischen Künstlern des fünfzehnten
Jahrhunderts zu beobachten ist. Eher läßt sie sich als Quelle für Um-
und Weiterdeutungen verstehen, denen zumeist der Rang des Eigen-
artigen und in einigen Fällen der des Einzigartigen zuzuerkennen ist.
Wie weit der Vergangenheitsrekurs Giovannis gehen kann, lehrt
die Haupttafel des 1447 von der Arte dei Pizzicaiuoli für S. Maria della
Scala in Siena in Auftrag gegebenen Polyptychons (diese Tafel wird
heute in der Sieneser Pinakothek bewahrt, die zahlreichen Trabanten-
bilder, deren Zuordnung noch immer umstritten ist, sind, soweit erhal-
ten, auf Sammlungen in aller Welt verstreut)17. In der großformatigen
16 Vgl. John Pope-Hennessy, a.a.O., 1937, S. 5f., S. 8 ff. und passim; Cesare Brandi,
a.a.O., 1947, S. 5 und S. 68; Giulietta Chelazzi Dini, in: Mostra di opere d’arte
restaurate nelle province di Siena e Grosseto, II, Genua 1981, S. 72ff., Nr. 21 (mit
Bibliographie und Abbildungen).
17 Vgl. Piero Torriti, a.a.O., S. 316f. (mit Bibliographie); wichtig: Cesare Brandi,
Peter Anselm Riedl
Berardegna bei Siena16. Beide Werke sind frühe Arbeiten des um 1400
- vielleicht 1403 - geborenen Künstlers, die erstgenannte 1427, die
zweite 1426 datiert; beide waren sie ursprünglich Kernstücke vielteili-
ger Retabel, nämlich des Branchini- und des Pecci-Altars, in der Siene-
ser Bettelordenskirche S. Domenico. Giovannis - selbst für siene-
sische Begriffe außerordentliche - dekorative Phantasie kommt in
ihnen ebenso zur Geltung wie seine Fähigkeit, die darzustellenden
sakralen Figuren oder Begebenheiten in ein poetisches Fluidum zu
tauchen. Die Linien- und Omamentseligkeit der Internationalen Gotik
beflügelt den jungen Meister zu Bilderfindungen, die einerseits durch
verschwenderischen Reichtum, andererseits durch die Intensität des
Ausdrucks bestricken; eines Ausdrucks, der in den beiden Marien-
tafeln mehr auf Innerlichkeit als auf Pathos setzt, sich in den Predellen-
tafeln dagegen zu dramatischem Emst und erzählerischer Lebhaftig-
keit steigert. Es ist hier nicht der Ort, der gerade in letzter Zeit erneut
diskutierten, schwierigen Frage der Vorbilder Giovannis nachzu-
gehen. Fest steht, daß der Künstler ausgiebig den Fundus der Sieneser
Malerei von Duccio über Simone Martini, die Brüder Lorenzetti und
Giovanni di Paolo Fei bis zu Taddeo die Bartolo studiert hat, daß er
sich 1426 von dem damals in Siena arbeitenden Gentile da Fabriano
beeindrucken ließ, daß er später Anregungen von Seiten Sassettas,
Domenico di Bartolos und anderer Generationsgenossen aufnahm.
Die starke Affinität zur heimischen Trecentomalerei äußert sich aller-
dings nicht im Sinne einer individualitätshemmenden Abhängigkeit,
wie sie sonst gelegentlich bei sienesischen Künstlern des fünfzehnten
Jahrhunderts zu beobachten ist. Eher läßt sie sich als Quelle für Um-
und Weiterdeutungen verstehen, denen zumeist der Rang des Eigen-
artigen und in einigen Fällen der des Einzigartigen zuzuerkennen ist.
Wie weit der Vergangenheitsrekurs Giovannis gehen kann, lehrt
die Haupttafel des 1447 von der Arte dei Pizzicaiuoli für S. Maria della
Scala in Siena in Auftrag gegebenen Polyptychons (diese Tafel wird
heute in der Sieneser Pinakothek bewahrt, die zahlreichen Trabanten-
bilder, deren Zuordnung noch immer umstritten ist, sind, soweit erhal-
ten, auf Sammlungen in aller Welt verstreut)17. In der großformatigen
16 Vgl. John Pope-Hennessy, a.a.O., 1937, S. 5f., S. 8 ff. und passim; Cesare Brandi,
a.a.O., 1947, S. 5 und S. 68; Giulietta Chelazzi Dini, in: Mostra di opere d’arte
restaurate nelle province di Siena e Grosseto, II, Genua 1981, S. 72ff., Nr. 21 (mit
Bibliographie und Abbildungen).
17 Vgl. Piero Torriti, a.a.O., S. 316f. (mit Bibliographie); wichtig: Cesare Brandi,