Metadaten

Riedl, Peter Anselm; Giovanni; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 2. Abhandlung): Eine wiederentdeckte "Verkündigung Mariä" von Giovanni di Paolo: vorgetragen am 4. Mai 1985 — Heidelberg: Winter, 1986

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48145#0020
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
18

Peter Anselm Riedl

Ins Magische überhöht begegnet diese Auffassung in den vermut-
lich kurz nach 1450 gemalten Tafeln mit Szenen aus der Legende des
Täufers, deren Mehrzahl im Besitz des Art Institute in Chicago ist20.
Die irrealen Bildräume, die phantastischen Landschaften mit den
rautenförmig parzellierten Ebenen und den bizarr aufschießenden
Felsen, die unwirklichen Licht- und Farbeffekte und die überlängten,
wie unter einem höheren Zwang handelnden Figuren lassen ver-
stehen, daß man von Giovanni di Paolo aus die Brücke zu El Greco
schlagen konnte (wobei über die Problematik derartiger Vergleiche
kein Wort verloren werden muß).
Noch einen Schritt weiter in den Bereich des Zauberisch-Unwirk-
lichen tut das Predellenbild mit einem Wunder des hl. Nikolaus von
Tolentino in der John G. Johnson Collection in Philadelphia21. Der
Heilige erscheint über einem Schiffswrack, das hilflos auf der See
treibt; gleichförmige Wellenberge suggerieren den stampfenden Gang
und die Unendlichkeit des Ozeans, die Masten der Kogge sind gebor-
sten. Segelteile flattern durch die Luft; die auf dem Oberdeck versam-
melten Seeleute sind in die Knie gesunken und flehen um Rettung.
Das alles hat die geradezu heraldische Klarheit einer symbolischen
Mitteilung und ist doch voller Dramatik, erzählerischer Eindringlich-
keit und Stimmungsdichte. Einige dieser Qualitäten hat Giovanni
auch in sein - insgesamt spröderes und formelhafteres - Spätwerk
hinüberretten können, etwa in die Predellentäfelchen des Galganus-
Polyptychons in der Sieneser Pinakothek22 23.
Dieser (notgedrungen flüchtigen) allgemeinen Charakterisierung
hat die zum Ausgangsthema zurücklenkende Frage zu folgen, welche
Rolle das Verkündigungsthema bei Giovanni di Paolo spielt. Es gibt,
wie gesagt, mehrere Verkündigungsdarstellungen von der Hand des
Künstlers, und fast ausnahmslos sind sie Glieder größerer ikono-
graphischer Komplexe. Die folgende Aufzählung ist weniger auf Voll-
ständigkeit bedacht als auf Verdeutlichung der verschiedenen ikono-
graphischen und formalen Zuordnungsmöglichkeiten.

20 Vgl. Millard Meiss: A New Panel by Giovanni di Paolo from his Altar-piece of the
Baptist, in: The Burlington Magazine, CXVI, Februar 1974, S. 73 ff. (mit Literatur-
hinweisen).
21 Vgl. z. B. John Pope-Hennessy, a.a.O., 1937, S. 77; Cesare Brandi, a.a.O., 1947, S.
47.
22 Vgl. Piero Torriti, a.a.O., S. 332ff. (mit Bibliographie).
23 Vgl. Michel Laclotte und Elisabeth Mognetti: Avignon - Musee du Petit Palais,
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften