Die Entstehung der historischen Biographie
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dition verfaßt (I. Düring, Aristotle in the Ancient Biographical Tradition, Göteborg
1957, 463ff).
Wohl erst die Lehren von den Lebensformen und vom sittlichen, durch das
ganze Leben hindurch unaufhörlich anzustrebenden Telos individueller Eudaimo-
nie, mit denen die gesamte frühhellenistische Philosophie das exemplum Socratis
systematisch verarbeitete, schufen die Voraussetzungen dafür, daß man prinzipiell
jedes Menschenleben - unabhängig von seiner Denkwürdigkeit oder Preiswürdig-
keit - als Ganzes in seinem Ablauf als sittliches Phänomen erfassen und folgerichtig
in den Kategorien von Lob und Tadel beschreiben konnte. Hier liegt der Ausgangs-
punkt für die Herausbildung der literarischen Gattung der Biographie, so viele
Zonen biographischen Interesses auch in der älteren griechischen Literatur sichtbar
sind (dazu T. Krischer, Herrn. 110, 1982, 51-64).
Ein Menschenleben als Verwirklichung eines bestimmten, von Mensch zu
Mensch verschiedenen Komplexes guter und böser Verhaltensweisen: Das ist die
Konzeption, die nicht nur den Biographien Plutarchs, sondern auch der Augustus-
Vita des Nikolaos von Damaskus oder der Atticus-Vita des Cornelius Nepos
zugrunde liegt und die wir getrost für die reiche biographische Produktion im
frühen Peripatos voraussetzen dürfen. Sie gilt prinzipiell für jeden Menschen - viel-
leicht mit Ausnahme des poetischen Genies. Mary Lefkowitz hat richtig beobach-
tet, daß in griechischen Dichterbiographien der Topos der früh erkannten poeti-
schen Begabung selten, der Bericht über Erziehung und Ausbildung dagegen oft zu
fehlen pflegt (The Lives of the Greek Poets, London 1981, 77 u. ö.). Diese Ab-
weichung von sonst durchweg befolgten Konventionen der Biographie liegt in der
griechisch-philosophischen Auffassung vom Wesen dichterischer Begabung
begründet. Das poetische Talent ist eine Gabe der Götter oder der Natur, nicht eine
sittliche Eigenschaft, die immer auf der Basis natürlicher Ausstattung erst im
Lebensvollzug erworben werden muß. Die Herausbildung der sittlichen Physio-
gnomie eines Menschen ist erst mit dem Tode abgeschlossen, weshalb griechische
Biographien durchweg großen Wert auf den Bericht über den Tod und eine daran
anschließende, zusammenfassende Charakteristik legen. Der Dichter hingegen
wird als Dichter geboren. Nascitur poeta, non fit.
In denselben Zusammenhang philosophischer Ethik und Anthropologie gehört
auch der oft beobachtete „private“ Charakter der Biographien Plutarchs. In ihnen
werden die moralischen Urteile im Erfahrungshorizont des Autors und seines
Publikums gefällt, und alle sozialen, zeitlichen, geographischen oder geschicht-
lichen Differenzen zur Welt des Helden bleiben unberücksichtigt. Besonders schön
bringt Plutarch diesen Grundsatz seiner biographischen Schriftstellerei in der Vor-
rede zum Paar Timoleon/Aemilius Paulus zum Ausdruck (Aem. 1): Der Biograph
lädt seine Helden wie Gäste zu sich, um im vertrauten Umgang mit ihnen sie nach
Wesen und Erscheinung kennenzulernen, wie es nach dem Bericht Homers im letz-
ten Buch der Ilias (630) Achill und Priamos taten. Noch Eunapios schreibt in der
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dition verfaßt (I. Düring, Aristotle in the Ancient Biographical Tradition, Göteborg
1957, 463ff).
Wohl erst die Lehren von den Lebensformen und vom sittlichen, durch das
ganze Leben hindurch unaufhörlich anzustrebenden Telos individueller Eudaimo-
nie, mit denen die gesamte frühhellenistische Philosophie das exemplum Socratis
systematisch verarbeitete, schufen die Voraussetzungen dafür, daß man prinzipiell
jedes Menschenleben - unabhängig von seiner Denkwürdigkeit oder Preiswürdig-
keit - als Ganzes in seinem Ablauf als sittliches Phänomen erfassen und folgerichtig
in den Kategorien von Lob und Tadel beschreiben konnte. Hier liegt der Ausgangs-
punkt für die Herausbildung der literarischen Gattung der Biographie, so viele
Zonen biographischen Interesses auch in der älteren griechischen Literatur sichtbar
sind (dazu T. Krischer, Herrn. 110, 1982, 51-64).
Ein Menschenleben als Verwirklichung eines bestimmten, von Mensch zu
Mensch verschiedenen Komplexes guter und böser Verhaltensweisen: Das ist die
Konzeption, die nicht nur den Biographien Plutarchs, sondern auch der Augustus-
Vita des Nikolaos von Damaskus oder der Atticus-Vita des Cornelius Nepos
zugrunde liegt und die wir getrost für die reiche biographische Produktion im
frühen Peripatos voraussetzen dürfen. Sie gilt prinzipiell für jeden Menschen - viel-
leicht mit Ausnahme des poetischen Genies. Mary Lefkowitz hat richtig beobach-
tet, daß in griechischen Dichterbiographien der Topos der früh erkannten poeti-
schen Begabung selten, der Bericht über Erziehung und Ausbildung dagegen oft zu
fehlen pflegt (The Lives of the Greek Poets, London 1981, 77 u. ö.). Diese Ab-
weichung von sonst durchweg befolgten Konventionen der Biographie liegt in der
griechisch-philosophischen Auffassung vom Wesen dichterischer Begabung
begründet. Das poetische Talent ist eine Gabe der Götter oder der Natur, nicht eine
sittliche Eigenschaft, die immer auf der Basis natürlicher Ausstattung erst im
Lebensvollzug erworben werden muß. Die Herausbildung der sittlichen Physio-
gnomie eines Menschen ist erst mit dem Tode abgeschlossen, weshalb griechische
Biographien durchweg großen Wert auf den Bericht über den Tod und eine daran
anschließende, zusammenfassende Charakteristik legen. Der Dichter hingegen
wird als Dichter geboren. Nascitur poeta, non fit.
In denselben Zusammenhang philosophischer Ethik und Anthropologie gehört
auch der oft beobachtete „private“ Charakter der Biographien Plutarchs. In ihnen
werden die moralischen Urteile im Erfahrungshorizont des Autors und seines
Publikums gefällt, und alle sozialen, zeitlichen, geographischen oder geschicht-
lichen Differenzen zur Welt des Helden bleiben unberücksichtigt. Besonders schön
bringt Plutarch diesen Grundsatz seiner biographischen Schriftstellerei in der Vor-
rede zum Paar Timoleon/Aemilius Paulus zum Ausdruck (Aem. 1): Der Biograph
lädt seine Helden wie Gäste zu sich, um im vertrauten Umgang mit ihnen sie nach
Wesen und Erscheinung kennenzulernen, wie es nach dem Bericht Homers im letz-
ten Buch der Ilias (630) Achill und Priamos taten. Noch Eunapios schreibt in der