Die Entstehung der historischen Biographie 79
graphien Plutarchs sind nach dessen eigenem Bekunden ohne historiographische
Absichten abgefaßt. Demgegenüber macht sich in den Geschichtswerken des Taci-
tus das biographische Element geradezu gegen den Willen des Autors geltend, und
zwar als ein sich aufdrängendes, neues Erfordernis, und im ‘Agricola’ zeigt sich
bereits der Versuch, für die biographisch stilisierte Geschichtsschreibung eine aus
den Bestandteilen mehrerer älterer Gattungen zusammengesetzte neue Form zu
finden. Suetons Kaiserviten endlich halten sich zwar im Aufbau an die Konventio-
nen gelehrter, von der Geschichtsschreibung zu unterscheidender Schriftstellerei.
Doch verrät die Auswahl und Reihung der Lebensbilder eine historiographische
Absicht, und schon seit dem folgenden Jahrhundert gilt Sueton als Archeget einer
literarischen Gattung, die man der Geschichtsschreibung zurechnet und die durch
Marius Maximus und die Historia Augusta vertreten wird.
Daß dem Werk Suetons in dieser Hinsicht eine besonders wichtige Rolle
zukommt, dürfte unbestreitbar sein. Leider ging das Prooemium der Caesares ver-
loren. Deshalb läßt sich nicht mehr ermitteln, ob der Autor mit einem paulo maiora
canamus auf den quasi-historiographischen Charakter seines Werkes selbst hin-
gewiesen hat, den ihm die Nachwelt zuerkannte. Wenn auch Komposition und Stil
der Caesares den hohen Ansprüchen der historiographischen Tradition, wie sie
etwa dem Jüngeren Plinius (ep. 5,8) vor Augen standen, keineswegs genügen, so
fuhrt doch ihr Inhalt weit über das hinaus, was sonst in den Sammlungen biographi-
scher Abrisse zu stehen pflegt, wie sie die gelehrte und Bildungstradition kannte
und wie sie in den erhaltenen Teilen der Viri illustres des Cornelius Nepos, Suetons
selbst oder des Hieronymus greifbar sind. Das inhaltliche Mehr, das die Caesares
auszeichnet, fällt zwar nicht gerade in die Rubrik der res gestae, gehört aber durch-
aus zu dem Stoff, der in der lokal- und regionalhistorischen und antiquarischen
Tradition aufgearbeitet wurde. Dazu kommt eine spezifisch römische, jedenfalls in
Rom erheblich stärker ausgeprägte Tradition politischer Schriftstellerei, die sich
gleicherweise in Historiographie und Memoirenliteratur Ausdruck verschaffte und
auf die Nepos, weil sie offenbar die Erwartungen eines römischen Lesepublikums
bestimmte, an mehreren Stellen seines erhaltenen biographischen Werkes Bezug
nimmt.
Das alles ist in den Caesares Suetons wirksam geworden, und es ist demnach
nicht voreilig anzunehmen, daß Sueton in dem literargeschichtlichen Prozeß, der
Gegenstand dieser Untersuchung war, eine entscheidende Rolle gespielt hat. Fried-
rich Leo hatte geglaubt, es sei die Übertragung biographischer Darstellungsweisen
aus einer bestehenden Form der Biographie auf eine andere, die Suetons Sonder-
stellung kennzeichne, eine Annahme, die sich angesichts der inzwischen erschlos-
senen Fülle bezeugter biographischer Formen nicht bestätigen ließ. Als richtig hat
indessen die vorliegende Untersuchung erwiesen, daß Sueton innerhalb der
Geschichte der biographischen Literatur insgesamt einen besonders bedeutsamen
Platz einnimmt. Man sollte das aber in dem Sinn verstehen, daß Sueton es war, der
graphien Plutarchs sind nach dessen eigenem Bekunden ohne historiographische
Absichten abgefaßt. Demgegenüber macht sich in den Geschichtswerken des Taci-
tus das biographische Element geradezu gegen den Willen des Autors geltend, und
zwar als ein sich aufdrängendes, neues Erfordernis, und im ‘Agricola’ zeigt sich
bereits der Versuch, für die biographisch stilisierte Geschichtsschreibung eine aus
den Bestandteilen mehrerer älterer Gattungen zusammengesetzte neue Form zu
finden. Suetons Kaiserviten endlich halten sich zwar im Aufbau an die Konventio-
nen gelehrter, von der Geschichtsschreibung zu unterscheidender Schriftstellerei.
Doch verrät die Auswahl und Reihung der Lebensbilder eine historiographische
Absicht, und schon seit dem folgenden Jahrhundert gilt Sueton als Archeget einer
literarischen Gattung, die man der Geschichtsschreibung zurechnet und die durch
Marius Maximus und die Historia Augusta vertreten wird.
Daß dem Werk Suetons in dieser Hinsicht eine besonders wichtige Rolle
zukommt, dürfte unbestreitbar sein. Leider ging das Prooemium der Caesares ver-
loren. Deshalb läßt sich nicht mehr ermitteln, ob der Autor mit einem paulo maiora
canamus auf den quasi-historiographischen Charakter seines Werkes selbst hin-
gewiesen hat, den ihm die Nachwelt zuerkannte. Wenn auch Komposition und Stil
der Caesares den hohen Ansprüchen der historiographischen Tradition, wie sie
etwa dem Jüngeren Plinius (ep. 5,8) vor Augen standen, keineswegs genügen, so
fuhrt doch ihr Inhalt weit über das hinaus, was sonst in den Sammlungen biographi-
scher Abrisse zu stehen pflegt, wie sie die gelehrte und Bildungstradition kannte
und wie sie in den erhaltenen Teilen der Viri illustres des Cornelius Nepos, Suetons
selbst oder des Hieronymus greifbar sind. Das inhaltliche Mehr, das die Caesares
auszeichnet, fällt zwar nicht gerade in die Rubrik der res gestae, gehört aber durch-
aus zu dem Stoff, der in der lokal- und regionalhistorischen und antiquarischen
Tradition aufgearbeitet wurde. Dazu kommt eine spezifisch römische, jedenfalls in
Rom erheblich stärker ausgeprägte Tradition politischer Schriftstellerei, die sich
gleicherweise in Historiographie und Memoirenliteratur Ausdruck verschaffte und
auf die Nepos, weil sie offenbar die Erwartungen eines römischen Lesepublikums
bestimmte, an mehreren Stellen seines erhaltenen biographischen Werkes Bezug
nimmt.
Das alles ist in den Caesares Suetons wirksam geworden, und es ist demnach
nicht voreilig anzunehmen, daß Sueton in dem literargeschichtlichen Prozeß, der
Gegenstand dieser Untersuchung war, eine entscheidende Rolle gespielt hat. Fried-
rich Leo hatte geglaubt, es sei die Übertragung biographischer Darstellungsweisen
aus einer bestehenden Form der Biographie auf eine andere, die Suetons Sonder-
stellung kennzeichne, eine Annahme, die sich angesichts der inzwischen erschlos-
senen Fülle bezeugter biographischer Formen nicht bestätigen ließ. Als richtig hat
indessen die vorliegende Untersuchung erwiesen, daß Sueton innerhalb der
Geschichte der biographischen Literatur insgesamt einen besonders bedeutsamen
Platz einnimmt. Man sollte das aber in dem Sinn verstehen, daß Sueton es war, der