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Hommel, Hildebrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 5. Abhandlung): Symmetrie im Spiegel der Antike: vorgetragen am 7. Juni 1986 — Heidelberg: Winter, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.48148#0008
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Hildebrecht Hommel

sobald sich ein geeignetes Objekt fand. Oder wenn ich beim Trep-
pensteigen von ungefähr mit dem linken Ellbogen ans Geländer stieß,
so suchte (und suche) ich den Ausgleich durch Berührung auch des
rechten Ellbogens mit der Wand oder was eben als Begrenzung der
Treppe auf der anderen Seite sich anbot. In beiden Fällen machte ich
die zunächst für mich schmerzliche Erfahrung, daß das nie ganz exakt
klappen wollte. Kein Stein war genau so groß wie der andere, oder:
Wand ist nicht gleich Geländer usw. So lernte ich bald, mich, wenn
auch einstweilen betrübt, damit abzufinden, daß mein Hang zur Sym-
metrie immer nur unvollkommene Befriedigung fand. Allmählich
befestigte sich dann bei mir die Erkenntnis, daß das Symmetriebedürf-
nis zwar wohl in einer allgemeinmenschlichen Anlage begründet sei,
daß aber das Leben um so interessanter und doch auch befriedigender
sich gestaltet, je mehr Varianten vom erstrebten Grundschema es
bietet. Äußerte sich jene Marotte bei mir von klein auf zunächst nur
ganz spontan, so konnte ich sie mir doch bald durch Beobachtung der
Natur und durch Nachdenken legitimieren, ebenso freilich auch durch
die Tatsache dämpfen, daß eine erhebliche Variationsbreite der Sym-
metrie ihr schon von Natur aus immanent ist1 la. Ein nach Abschluß
meiner eigentlichen Fachstudien betriebenes Schmalspurstudium in
der physischen Anthropologie (mit Nebenfachprüfung im Rigorosum)
hat mich darin bestärkt.
Der menschliche Körper, der in der Zwillingsgeburt sich als Spit-
zenleistung der Symmetrie präsentiert, bietet schon im Einzelexem-
plar die besten Aufschlüsse2. Frontal betrachtet scheint er vollendet
symmetrisch gebaut, rechts und links von einer etwa durch die Nase,
den Mund, den Nabel und den Ansatz der Beine bezeichneten Achse
ausgehend, was vor allem durch Augen, Ohren, Brüste, Extremitäten
einsichtig wird. Bei den Augen macht die Störung dieses Ebenmaßes
1 „Fehlerlose Symmetrie ist langweilig“, heißt es in einem vorwiegend mathema-
tisch-naturwissenschaftlich orientierten, aber vielfach darüber weithinaus greifen-
den, reich illustrierten populären Buch von Werner Gilde, Gespiegelte Welt,
Leipzig und Köln 1979, hier S. 9 (das Buch wurde mir firdlch. nachgewiesen von
meiner Frau L. Hommel).
la Das inhaltsreiche Buch von W. Gilde scheint den Veranstaltern der Darmstädter
Symmetrie-Ausstellung entgangen zu sein.
2 D. Mannsperger erinnert an die vollendete Symmetrie, die nach Aristophanes’
Ausführungen im platonischen ‘Symposion’ (c. 14, p. 189 E bis 190 A/B) die
androgyne Vorstufe des Menschen ausgezeichnet haben soll, wonach dann das
Auseinanderfallen in zwei getrennte Teile als Strafe aufgefaßt wird (c. 15,190 Cff.).
 
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