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Hommel, Hildebrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 5. Abhandlung): Symmetrie im Spiegel der Antike: vorgetragen am 7. Juni 1986 — Heidelberg: Winter, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.48148#0020
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Hildebrecht Hommel

Höheren Anspruch auf Exaktheit darf die Feststellung erheben,
daß sich Symmetrie keineswegs nur im räumlichen, sondern auch im
zeitlichen Bereich abspielt21. Empfinden wir etwa den symmetrischen
Aufbau eines Gedichts beim Lesen räumlich, so tritt sofort der zeit-
liche Aspekt in den Vordergrund, wenn wir das gleiche Gedicht als
Lied oder Rezitation vorgetragen hören oder es uns selber darbieten22.
Gar nicht zu reden vom Tanz, wo etwa so symmetrische Gebilde wie
die Quadrille oder die Frangaise, die sich gut räumlich aufzeichnen las-
sen, ihre zeitliche Dimension dazu gewinnen.
Ein Wort erübrigt sich auch noch zu den vielfältigen Erscheinun-
gen, die wir gewissermaßen als Symmetrie-Metaphern empfinden,
ohne daß von einer bildhaft darstellbaren Symmetrie gesprochen wer-
den kann. Hierzu gehört das nur dem Gehör sich darbietende Phäno-
men des Echos, oder die als Symmetrie empfundenen beiden Phasen
des Atemholens, worüber Goethe die schönen Verse gemacht hat, die
mit Recht doch gerade wieder ihre Verschiedenheit, besser die Funk-
tion ihrer gegenseitigen Ergänzung betonen:
Im Atemholen sind zweierlei Gnaden:
Die Luft einziehn, sich ihrer entladen.
Jenes bedrängt, dieses erfrischt -
So wunderbar ist das Leben gemischt.
Du danke Gott, daß er dich preßt.
Und dank ihm, daß er dich wieder entläßt.
Auch das Gleichgewicht23, das uns so schön durch das Aufgleicher-
höhe-Schweben der Waagschalen vor Augen stand, als dieses ehrwür-
dige Werkzeug noch nicht durch elektronische Waagen verdrängt war,
es gehört ebenfalls in den Bereich der Symmetrie, und wir hoffen, daß

21 K. Gaiser hat es in einem Diskussionsbeitrag auf die Formel gebracht, daß die
Raumproportion statischen, die Zeitproportion bewegten Charakter trägt. Br. v.
Freytag will dagegen der Zeit überhaupt keine Symmetrie im strengen Sinn zuge-
rechnet wissen, lediglich variable Abläufe, wie sie z. B. durch die Verwendung des
‘Motivs’ in der Musik gegeben sind.
22 So formuliert G. Kiefner in einem Diskussionsbeitrag: ‘Symmetrie im Raum wird
visuell, in der Zeit akustisch wahrgenommen’.
23 Der Sammelband Eranos 42.1973 (1975) ist der ‘Welt der Entsprechungen’ gewid-
met; darin auf S. 79-162 H. Corbin, La Science de la balance (auf Texten der isla-
mischen Gnosis beruhend). Hier handelt es sich ebenfalls um Übertragungen, wie
sie auch sonst vielfach üblich sind (‘militärisches Gleichgewicht’ etc.).
 
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